Hinter Eisbergen

Zu Gast bei den grün-roten Strammwaden: Fußball in Grönland ist ein mühsames und schneereiches Unterfangen – trotz göttlichen Beistands

aus Ilulissat BERND MÜLLENDER

Seit Jahrhunderten kennt jedes Inuit-Kind die Sage vom Nordlicht: Dieses pinsele, so heißt es, sein leuchtendes Farbenspiel an den Himmel, wenn die Götter mal wieder Langeweile haben. Dann holen sie nämlich die Walrossköpfe raus. Um damit, genau: Fußball zu spielen. Und wenn es besonders bunt wird, spielen sie wahrscheinlich gerade ihr göttliches HM-Finale.

Ach, wäre es unten bei den Menschen, zum Beispiel in Grönland, nur genauso leicht, schon mit gewöhnlichen Fußbällen! Einfach draufloskicken. Doch da sind Kälte vor und vor allem Schnee. Fußball in Grönland geht nur in wenigen Monaten. Söran Mathiassen, 35, steht in seinem Clubstadion und erzählt davon. Söran spielt in Grönlands 1. Liga, im Mittelfeld von Qorsuk-Aapaluttoq Nagdlunguaq Ilulissat 1948. Übersetzt: „Kleine grün-rote Eisberge-Strammwaden“.

Mathiassens Heimatstadt Ilulissat liegt an der Westküste, 500 Kilometer nördlich des Polarkreises. Es ist Ende März und vergleichsweise heiß: Seit heute hat sich, ungewöhnlich früh, ein tropisches Island-Tief nach Nordwesten verirrt und es beginnt kurz zu tauen. Die Woche zuvor waren es noch schneidende 25 Grad minus. Söran lacht: „Bald geht es los.“ Doch bald ist sehr relativ: Über ein halber Meter Schnee braucht viele Tage zum Tauen. Und dann, Ende April, sagt Söran, „ist der Platz erstmal tagelang eine Art See“: Weil der Boden noch tief gefroren ist und Tauwasserbäche die Zuschauerwälle herunter auf den Platz strömen werden. Bis zum Trainingsbeginn im Frühlingssumpf, nicht vor Mitte Mai, werden Platz und Zuschauerränge auch erkennbar sein. Jetzt ist hier nichts als Weiß.

„Im Süden“, über tausend Kilometer entfernt, „beginnen die Clubs schon jetzt mit dem Außentraining“, seufzt Söran. Aber immer noch besser Ilulissat als die Nordregion um Uummannaq und Upernavik – da bleibt noch weniger Zeit. Und im Oktober ist auch in Ilulissat spätestens wieder Schluss, nach kaum fünf Monaten Saison. Flutlichtmasten übrigens kennt das Stadion nicht – wozu auch: ab 25. Mai scheint die Sonne eh 24 Stunden lang.

Live-Übertragungen gibt es bei „Arctic TV“ nicht, weshalb, erzählt Söran, meist tausend Fans zu den Spielen kommen, also jeder vierte Einwohner des Orts. Sechs Mal waren die kleinen Waden schon grönländischer Meister, zuletzt 1992. Da hat auch Söran mitgewirkt.

Alle Kicker in Grönland sind Amateure, Clubwechsel große Ausnahmen. Söran hat als Jugendlicher in einem anderen Ilulissater Team gespielt: „Dann bin ich zu den Waden gewechselt, weil die eben die besten sind“, sagt er, und es klingt fast wie eine Entschuldigung für lokalen Verrat. Als Profi im Ausland hätte er nie spielen wollen, nein, lacht Söran, „Fußball ist Spaß und fertig“. Ob es mal einer aus seinem Minivolk (55.000 Grönländer gibt es) bis in die dänische Liga geschafft hat? Nein, sagt Söran, nur bis Island: „Ich glaube sogar 2. Liga.“ Eine exklusiv kalte Karriere.

Drei regionale Meisterschaften gibt es in Grönland: die im Süden, die in der mittleren Zone um Ilulissat und die im Norden. Die sechs besten Teams tragen am letzten August-Wochenende das Champions-Turnier in der Hauptstadt Nuuk aus, unten im Süden. Wenn Nuuk im Finale steht, sagt Söran, womöglich noch gegen den alten Rivalen FC Kissaviarsuk (FC Falken) aus Quorquqoq nebenan, kommen mindestens 2.000 Zuschauer, meist noch mehr. Und er ist sicher: „Das Turnier wird ein großes Fest, wie immer.“ Dann kann auch Söran Matthiassen endlich den Robbenpelz ausziehen und wird mit seinen Fußballschuhen tatsächlich bis auf den Boden reichen. Die Götter werden gut gelaunt zuschauen und das eigene Spiel vielleicht vergessen.

Obwohl: Weil es im Sommer gar kein Nordlicht gibt, müsste die Götterliga eigentlich Pause haben. Aber vielleicht sieht man das Himmelsflackern nur nicht, wegen fehlender Dunkelheit. Eigentlich wünscht man der Götter-Fußballliga ewige Saison. Auch über Eislandien.