Schlampe gegen Statue

Ist Selbstverwirklichung endgültig out? Wayne Wangs Film „Überall, nur nicht hier“ macht aus einer überdrehten Susan Sarandon doch noch die gute Mutter

Wenn jemand aussieht wie Adele August, ist man schon vorgewarnt. So viel Pailletten, Lidstrich und Leggins verraten bei einer Frau über vierzig gleich den verzweifelten Versuch, attraktiver zu sein als vorgesehen, vor allem wenn sie Mutter ist. Und zwar nicht nur, weil ein solcher Dresscode eine gewisse Verantwortungslosigkeit erkennen lässt („Ich dachte wirklich, ich hätte die Stromrechnung bezahlt“).

Eine Frau, die einen goldenen 78er Mercedes fährt, hat sich offenbar auch noch nicht damit abgefunden, dass der Spaß im Leben nun ihrer Tochter gebührt. So überhört Adele (Susan Sarandon) auch geflissentlich das Gemaule vom Beifahrersitz, als sie Anne (Natalie Portman) nach Los Angeles verschleppt. Die Siebzehnjährige trauert noch Wisconsin hinterher und kann also die Beach Boys nicht gut ab, vor allem wenn ihre Mom mitzujodeln beginnt: Eine Mutter, die sich permanent produzieren muss, ist eben auch peinlich, wenn man mit ihr alleine ist. Das leuchtet ein und macht darüber hinaus deutlich, dass es hier nicht nur um den üblichen Psychoterror zwischen Mutter und Tochter geht.

Sarandon und Portman verkörpern zwei konkurrierende Frauenbilder, die durch mehr oder weniger Selbstdarstellung bzw. verschiedene Arten des Schauspiels bestimmt sind. Zunächst wirkt Portman im Kontrast zur überdrehten Sarandon blass und humorlos. Kein Wunder, dass dieses Gesicht in „The Phantom Menace“ unter Make-up und Kostümen begraben wurde – viel spielt sich darin nicht ab. Aber während Portman bei Lucas zur königlichen Statue erstarrt, zeigt Wang sie ungeschminkt, als Erscheinung einer ungespielten Mädchenhaftigkeit, die nicht nur gegenüber ihrer Mutter, sondern auch vor der Kamera passiv bleibt. Selbst wenn dieses unbewusste Vor-sich-hin-Gucken zum sturen Blick des Teenagers wird, steckt darin noch die Verweigerung zu agieren: Nicht zuletzt nervt Adele ihre Tochter damit, doch Schauspielerin zu werden. Dass die Schauspielerei mit einer Weiblichkeit zusammenfällt, die der Tochter zuwider ist, macht sie unmissverständlich klar, als sie bei einem Casting ihre Mutter zum Besten gibt. Deren kleine Inszenierungen werden zum Fundus der Lächerlichkeit, eine billige Maskerade, mit der Adele verleugnet, was sich so zu verleugnen lohnt (Alter, Geldnot, sozialer Status, zwischenmenschliche Konflikte).

Aber man sollte sich nicht täuschen lassen: Sarandons Darstellung bzw. Adeles Selbstdarstellung ist das Movens der ganzen Geschichte; ohne ihren Überschuss an Einbildungskraft, Make-up und Affekt wäre der Film nie aus Wisconsin herausgekommen. Das Spiel im Spiel garantiert dabei, dass Sarandon ihre Figur immer ein Stückchen überragt – ähnlich wie Adele, die sich von einer Rolle beizeiten distanzieren kann. So wenn sie in einem teuren Hotel das Zimmer bemäkelt, nur um dann in einem billigen Motel abzusteigen: Ihr Auftritt wird dabei zur preiswerten Selbstverwirklichung, ein Testen von Wunschbildern und Klischees, das erst außer Kontrolle gerät, als sie sich verliebt.

In Anbetracht von Sarandons Affären (in „Annies Männer“ und „Frühstück bei ihr“) glaubt man allerdings kaum, was Wangs Film suggeriert: dass die ältere Frau zum Opfer von grotesken Fantasien wird, wenn sie denkt, sie könne einen jungen Zahnarzt haben. Aber so sieht es aus.

Immerhin: Je mehr der Film seine Hauptdarstellerin zur Ordnung ruft, umso offensichtlicher wird, dass um sie herum gähnende Langeweile herrscht. Insofern ist „Überall, nur nicht hier“ dann doch kein Plädoyer für die ungekünstelte Weiblichkeit. Zwar wird aus einer Frau am Rande der Glaubwürdigkeit schließlich eine gute Mutter (und der Mercedes verkauft). Aber alle Stylisten der Welt werden nichts daran ändern, dass Sarandon auch ohne ihren Fummel Portman noch mühelos in die Tasche spielt. Ganz abgesehen davon ist die tränenreiche Versöhnung am Schluss ja wohl die größte Farce von allen. KERSTIN STOLT

„Überall, nur nicht hier“. R.: Wayne Wang. Mit: Susan Sarandon, Natalie Portman u.a. USA 1999, 114 Min.