Meinungsfreiheit vor Flagge

Eine Verfassungsänderung, um die Schändung des Sternenbanners zu verbieten, verfehlt die notwendige Zweidrittelmehrheit im US-Senat

BERLIN taz ■ Zum vierten Mal seit 1989 ist am Mittwoch im US-Senat eine Verfassungsänderung knapp gescheitert, mit der die US-Flagge vor Verbrennung oder ähnlich drastischer Meinungsäußerung geschützt werden sollte. 63 Senatoren stimmten dafür, 37 dagegen – damit wurde die Zweidrittelmehrheit um vier Stimmen verfehlt.

1989 hatte das Oberste Gericht entschieden, die Schändung des Sternenbanners sei durch das verfassungsmäßig garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt. Vor allem Republikaner hatten daraufhin einen Verfassungszusatz eingebracht, der es dem Kongress erlaubt hätte, solcherlei Handlungen gegen die Fahne zu verbieten. Der Entwurf war im vergangenen Jahr mit einer deutlichen Zweidrittelmehrheit vom Repräsentantenhaus angenommen worden.

„Die Fahne zu verbrennen ist keine Rede; es ist ein überaus beleidigendes Verhalten“, sagte der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Trent Lott. Und der als republikanischer Präsidentschaftskandidat schon früh aus dem Vorwahlrennen ausgeschiedene Senator Orin Hatch aus Utah kündigte an, weiterhin für die Durchsetzung des Artikels arbeiten zu wollen: „Wir werden nicht ruhen“, sagte er.

Die Republikaner hatten versucht, Wackelkandidaten, die in diesem Jahr vor der Wiederwahl stehen, auf die Seite der Mehrheit zu bringen. Der demokratische Senator Charles S. Robb aus Virginia etwa, ein Gegner des Verfassungszusatzes, sah sich heftigen Attacken seines republikanischen Konkurrenten ausgesetzt, er verletze die Gefühle und patriotischen Grundsätze der Bürger. So ist der Fahnenstreit eine von mehreren Abstimmungen, die von den beiden Parteien – ohne große Aussicht auf Erfolg – im Wahljahr auf die Tagesordnung gesetzt werden, um ihre jeweiligen Kandidaten zu unterstützen. Auf Antrag der Republikaner wird das Repräsentantenhaus am 5. April erneut über eine schon zweimal von Präsident Clinton per Veto gestoppte Verschärfung des Abtreibungsrechts abstimmen, und die Demokraten haben in den nächsten Wochen Entscheidungen über Mindestgehälter und Bildung aufgerufen.BERND PICKERT