Überall heimatlos nach 60 Jahren Flucht

■ Demonstration in der Innenstadt gegen die „Asylbetrugs-Kampagne“ von Innensenator Bernt Schulte (CDU) / Die betroffenen kurdischen Familien fühlen sich zu Unrecht verfolgt

150 Menschen haben gestern in der Innenstadt gegen den Vorwurf des „Asylbetrugs“ protestiert, den Innensenator Bernt Schulte (CDU) gegen 500 Kurden erhoben hatte. Die Redebeiträge wandten sich gegen die „Kriminalisierungskampagne“ der Innensenators. Auf dem Bahnhofsvorplatz hatten sich Betroffene und UnterstützerInnen mit Transparenten versammelt. Etwa ein Drittel der Demonstranten waren Kinder im Grundschulalter, die Schilder mit der Aufschrift „Wir bleiben hier!“ trugen.

Die Gruppe der Kurden ist von der Abschiebung aus Deutschland bedroht. Ihnen wird vorgeworfen, sich fälschlich als Libanesen ausgegeben zu haben, nachdem sie mit türkischen Papieren eingereist waren. Nach eigener Darstellung sind sie staatenlose Libanesen, die zum Zweck der Weiterreise nach Deutschland türkische Papiere gekauft haben.

Zeki E., einer der Demonstranten, erklärt die verworrene Geschichte am eigenen Beispiel: „Meine Familie ist 1944 vor türkischer Verfolgung in den Libanon geflohen. Die Meisten haben dort aber nie eine Staatsbürgerschaft erhalten – genauso wie wir heute in Deutschland.“ Teile der Familie flohen 1967 vor dem libanesischen Bürgerkrieg nach Syrien, andere zurück in die Türkei. Die meisten kamen aber wiederum in den Libanon. Als dort 1988 der Bürgerkrieg erneut eskalierte, entschlossen sich die Eltern von Zeki E. zur Flucht. In der Türkei kauften sie türkische Papiere, mit denen sie noch im selben Jahr weiter nach Deutschland reisten. Heute haben sie Angehörige im Libanon, in Syrien, der Türkei und Deutschland. Seine Tante ist sogar eine der wenigen mit einem libanesischen Pass.

Zeki E. ist einer der wenigen in der Gruppe, die es hier „geschafft“ haben. Er hat seinen Schulabschluss gemacht und arbeitet für einen Mercedes-Zulieferer. Das können viele andere nicht: Nur die wenigsten haben eine Aufenthaltsbefugnis, die zur Arbeitsaufnahme berechtigt. Darin sieht der junge Mann auch die Ursache für die großen sozialen Probleme in einigen Familien: „Der Vater ist doch das Vorbild in den Familien. Wenn der den ganzen Tag rumsitzt und keine Arbeit hat, wie sollen da die Kinder in so was reinwachsen. Selbst die, die mit viel Mühe die Schule schaffen, haben doch hinterher keine Perspektive.“ Durch die Ereignisse der letzten Wochen habe sich die Situation noch verschlechtert: Einigen Familien sei bereits die Aufenthaltsbefugnis entzogen worden, manche hätten dadurch ihren Arbeitplatz verloren. Auch Zeki E. muss um alles fürchten, was er sich aufgebaut hat. Wenn er seine libanesische Herkunft nicht noch beweisen kann, wird er in die Türkei abgeschoben – ein Land, das er nur als kleines Kind auf der Durchreise kennengelernt hat.

Empört ist er über die Art, wie die Bremer Polizei die Wohnungen einiger kurdischer Familien in Kattenturm durchsucht hat: „So geht man nicht mit Menschen um. Morgens um sechs wurden ganze Familien in ein kleines Zimmer gesperrt und dann alles durchwühlt. Ich weiß von einem dreijährigen Mädchen, dem Polizisten den Ohrstecker weggenommen haben.“

Nachdem ihre Kinder in der Schule als Betrüger beschimpft wurden, gingen die betroffenen Kurden auch hier in die Offensive: Mit Flugblättern versuchten sie in den vergangenen Tagen, ihre Sicht der Dinge an den Schulen zu verbreiten. Das rief inzwischen den innenpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Rolf Herderhorst, auf den Plan. Der Bürgerschaftsabgeordnete nannte die Verteilung „skandalös“. Der in den Flugblättern erhobene Vorwurf einer gezielten Hetzkampagne durch die Polizei und den Innensenator sei „völlig aus der Luft gegriffen.“ Herderhorst forderte Bildungssenator Willi Lemke (SPD) auf, solche Aktionen künftig zu unterbinden. not