Dekorativ politisch

Give peace a chance: Die israelische Sängerin Noa hat keine Angst vor großer Symbolik. Für die gute Sache stellt sie sich gerne freiwillig als Friedensengel zur Verfügung. Neuerdings aber sucht sie innere Harmonie

Jener Abend im November 1995, an dem der israelische Premier Rabin am Rande einer großen Friedenskundgebung ermordet wurde, hat Noa lange verfolgt. Sie gehörte damals zu den Künstlern, die zuvor mit Rabin auf der Bühne gestanden hatten. Der Schock über das Attentat hallte noch auf „Calling“, Noas letzten Album, nach. „Ich war sehr deprimiert von der politischen Situation in Israel“, äußert sie sich über ihren inneren Zustand zu jener Zeit. „Ich hatte den Eindruck, der Wagen würde den Abhang herunterrollen, führerlos. Jetzt habe ich wenigstens das Gefühl, dass ein Fahrer am Steuer sitzt. Auch wenn er nicht der Beste ist: Er fährt das Auto, und es gibt eine Straße, und das ist der Dialog.“

Wesentlich zuversichtlicher sei sie jetzt, was die Zukunft angeht. Darum hat sie auf ihrer neuen Platte die Politik außen vor gelassen und sich rein persönlichen Themen zugewandt. „Blue touches Blue“ wartet mit gewohnt melodiösem, etwas harmlosen Jazzpop auf, und ihre Stücke handeln viel von Liebe und allem, was damit zusammenhängt. „Ich habe die meisten Songs als Antwort auf innere emotionale Konflikte geschrieben, die mich schon immer beschäftigt haben. Nur: Diesmal habe ich mich allein darauf fokussiert.“

Mit dieser Beschränkung auf die Introspektive findet sich Noa ganz im Einklang mit der übrigen Popszene in Israel, denn die ist, wie überall, eher apolitisch. „Politik ist so ein großer Teil unseres Lebens, sie schnürt uns die Luft ab. Viele sehen Popmusik daher als etwas an, das jenseits der Politik stehen sollte“, erklärt sie diesen Umstand. „Im israelischen Theater findet man sehr mutige politische Statements, aber in der Popmusik ist das anders. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Chava Alberstein etwa, sie ist wirklich eine mutige Frau, die immer sagt, was sie denkt, und den Preis dafür bezahlt. Wir tun das auch.“

Deswegen stellt sich Noa auch immer wieder gerne zur Verfügung, wenn es dem guten Zweck dient. Peter Maffay engagierte sie für sein pompöses „Begegnungen“-Projekt, und John Lennons pazifistischen Bekenntnisschlager „Imagine“ schmetterte sie nicht nur mit dem Algerier Khaled, sondern auch schon oft mit palästinenischen Musikern im Duett. Auch wenn manche Zusammenarbeit mehr symbolischen als musikalischen Gehalt birgt, betrachtet Noas Gitarrist und Produzent Gil Dor die Offerten von Kollegen wie Khaled als Kompliment: „Noa repräsentiert offenbar etwas, das einer globalen, humanistischen Vision dient“, formuliert er blumig. Anders gesagt: Auch wenn sie vielleicht manchmal weniger ihrer Musik wegen, als vielmehr bloß als dekorative Quotenjüdin gefragt ist – als dunkellockiger Friedensengel macht sie einfach immer eine gute Figur.

Den Dogma gewordenen Weltreligionen misstraut Noa, den Trend zu individueller Glaubenssuche – zu „Homemade Religion“, wie eines ihrer neuen Stücke heißt – beobachtet sie dagegen mit amüsierter Sympathie. Ein Freund, der vor kurzem von einer längeren Reise aus Indien zurückkehrte, inspirierte sie beim Songschreiben. „Viele Israelis verbringen zwei, drei Jahre in der Armee, und nach dem Wehrdienst müssen sie einfach ausbrechen. Früher war es Mode, nach Südamerika zu reisen, aber jetzt fahren alle nach Asien, nach Indien und kommen mit neuen Ideen im Gepäck zurück. Das hat die Musikszene in Israel stark beeinflusst“, berichtet sie. „Viele Gruppen kehren aus Indien zurück, tragen weiße Roben und spielen Tabla, Darbuka und Sitar und leben wie kleine Familien in Kommunen zusammen, mit ihrer eigenen Philosophie.“ Noa gefällt dieser Trend. „Ich gehe sehr gerne in die Clubs in Israel. Kürzlich habe ich dort eine Band gesehen. Sie vereinigte all das, aber sie benutzten auch Loops und HipHop-Beats. Und sie rappten auf Hebräisch!“

DANIEL BAX

Sonntag, 2. 4., 20 Uhr, im Großen Sendesaal des SFB