Die turbogeile Telebörse

Wer einen Lottoschein ausfüllen kann, der kann auch an der Börse spekulieren. Das vermitteln die neuen Wirtschaftszeitschriften. Man sieht: Der Kapitalismus in seiner Turbophase braucht keine Eliten mehr, kein Wissen und keine Kultur. Aber immer noch Medien

von GEORG SEESSLEN

Bei meinem Lieblingszeitschriftenhändler haben die Wirtschaftsmagazine, die alle irgendwie „Geld“, „Börse“, „Online“, „Commerce“ oder „Bizz“ im Titel tragen, die Arsch-und-Titten-Magazine nicht nur an schierer Menge verdrängt. Im Jahr 2000 ist Sex nur noch was für die Verlierer, die sich bei „Superbusen“ trostlos einen runterholen; und nicht einmal die Königshäuser- und Serienmörderträume sind noch zu haben ohne mindestens eine Geld- und Börsenseite. Wirklich geil ist, so scheint’s, nur noch das Geld selbst. Der pure Stoff.

„Reich mit neuen Aktien“ (Bizz Capital), „Reich mit Immobilien“ (Geld Idee – Geld & Wirtschaft kompakt), „Film ab, Gewinne marsch!“ (Der Aktionär), „Jetzt Höchstzinsen herausholen“ (Die Tele Börse), das sind die Schlagzeilen. Aber wir erfahren auch etwas über die „Krise der Direktbanken“, sie sind nämlich „Viel zu langsam, um schnell reich zu werden“ (Net-Business International). Was man eigentlich mit dem Geld anfängt, das einem die Magazine versprechen, so wie der Playboy einem einst ein Leben wie das von Hugh Hefner versprochen hat? Wenn man den Anzeigen glaubt, geht es zwar einerseits darum, schon das richtige Auto zu haben und auch das richtige Parfüm (Jil Sander for Men), die richtige Jacke (H & M), und bei Bizz Capital, der Zeitschrift für „Job Geld Leben“, darf man sogar rauchen (Gauloises blondes). Aber von diesem Magazin abgesehen, das noch so etwas wie einen Lebensstil zu verkaufen hat – hier geht es sogar darum, wie man „guten Wein aus dem Supermarkt“ holt (irgendwo muss man ja sparen), scheint es im Allgemeinen für das Geld, das bizarre Zuwachsraten verspricht, vor allem ein Ziel, eine Metaphysik zu geben: Noch mehr Geld. (Merkwürdigerweise liegt die Gewinnspanne auffallend oft bei über 400 Prozent, was bei einer Presse, zu deren Lieblingsthemen die Beziehung von Astrologie und Börsenentwicklung gehört, bestimmt irgendwas zu bedeuten hat.)

Genauer besehen zeigt sogar gerade der Lifestyle-Abschnitt von Bizz am allerdeutlichsten, wie leer das Versprechen der turbogeilen Raffgier-Magazine ist. Kaviar, Wein, Auto und Film, das ist nur noch strategisches Wissen, es hat nichts mit Kultur oder mit Genuss zu tun. Folgender „Bluff-Tipp“ führt uns direkt in die Geisteswelt des Bizz-Lesers: „Ihr Schwiegervater zeigt seinen ganzen Stolz, einen 61er Jahrhundert-Bordeaux. Fragen Sie ihn, ob der Wein zwischendurch neu verkorkt wurde. Grund: Ein Korken hält höchstens 25 Jahre.“

Der Boom der neuen (und erneuerten alten) Geld-, Börsen- und E-Commerce-Zeitschriften kommt natürlich zur rechten Zeit: Ob die Neue Mitte so etwas ist, wir kennen das aus dem Fernsehen, wie „ein Volk von Aktionären“ oder nur ein Volk mit Börsenträumen, das ist so schwer zu sagen, wie es zu beurteilen war, ob der Playboy und das Playgirl die Leserschaft, na ja. Entschieden indes hat sich einiges geändert seit den Zeiten, als jedem Aktionär etwas von Ebenezer Scrooge anhaftete und die Financial Times für den Nichteingeweihten unverständliches Kauderwelsch und rätselhafte Zahlenkolonnen enthielt. Den Wirtschaftsteil einer bürgerlichen Zeitung zu lesen, dazu musste man noch in den Siebzigerjahren das eine oder andere Hinterzimmerseminar besuchen; und als man es dann endlich konnte, war man bereit, alle Hoffnung fahren zu lassen.

In den so strengen, auf nichts so sehr wie Seriosität bedachten wirtschaftsjournalistischen Produkten vor der Popularisierung des Neoliberalismus war ein Herrschaftswissen versammelt, vermittelte sich eine Geheimsprache, deren Entschlüsselung deutlich genug machte, was diese Welt zusammenhält (oder spaltet, um genauer zu sein). Eine Semiotik des Besitzes, dessen Außenhaut von einer besonderen Form der luxurierenden Kultur gebildet wurde. Eine sich selbst vollkommen kontrollierende und rationalisierende Gier.

Das hat sich gründlich geändert. Was in Bizz und Tele Börse und Der Aktionär, in den Wirtschaftsseiten von Bild am Sonntag (kürzlich auf besonderen Wunsch der Leser entscheidend ausgeweitet) oder Ärzte Zeitung steht, das versteht jeder. Propagiert wird eine Art Kapitalismus von unten (genauer gesagt aus der virtuellen Mitte). Wer einen Lottoschein ausfüllen kann, der kann auch an der Börse spekulieren. Der „Höhenflug“ des Deutschen Aktien-Index zum Beispiel wird angeblich von den „Börsenprofis“ als „Dienstmädchen-Hausse“ denunziert, so steht es in Die Tele Börse, den alten feudalen Kapitalismus zugleich mit der gestrigen Denkweise dieser Profis beschreibend. Ja, so der Kolumnist Roland Tichy, mittlerweile spreche man sogar von „Putzfrauen-Hausse, vom gierigen Pack, das einfach nicht genug kriegen kann“. Aber: „Die Kurse steigen weiter, die Putzfrauen kassieren Goldtaler, und die altklugen Profis ärgern sich.“

Ist also der Boom der bunten Geld- und Aktienmagazine, für die man nebenbei gesagt Woche für Woche auch ein kleines Vermögen hinblättern kann, Ausdruck eines neuen, demokratischen Dienstmädchen-und-Putzfrauen-Kapitalismus? Das ökonomische Herrschaftswissen geknackt und massenhaft unters gemeine Volk gestreut?

Mit dem Kapitalismus als Wissenschaft und Sprache vergangener Zeiten jedenfalls hat diese Presse nichts mehr im Sinn. Sie ähnelt vielmehr verdächtig jenen Zeitschriften, die man in der Annahmestelle der staatlichen Lotterien bekommt, und ihre Argumentationsweisen sind genauso einfach. Irgendjemand gewinnt immer, und je mehr mitspielen, desto höher die Gewinne. Aufpassen muss man natürlich schon. Zum Beispiel werde ich mir nach den Warnungen von Markus Koch, Biotech-Aktien betreffend, doch reiflich überlegen, ob ich den Gedanken ernsthaft ins Auge fasse, in dem Bereich aktiv zu werden: „Investoren mit Herzschrittmacher seien indes gewarnt: Denn trotz aller Chancen werden die Biotechs immer sehr risikobehaftet und volatil bleiben. Man denke an das Jahr 1983.“

Leider habe ich keine Ahnung, wie viel Biotech-Investoren mit Herzschrittmachern 1983 auf Grund welcher Zickzacks den Silberlöffel abgegeben haben (ich weiß allerdings auch nicht mehr, welchen Tabellenplatz Schalke 04 damals innehatte). Aber dieses „Man denke an das Jahr 1983!“ hat mich immerhin so weit gewarnt: Es gibt Bereiche des Börsenspiels, die für Warmduscher wie mich nicht geeignet sind.

Im Ernst: Die Verwandtschaft von Börsenspiel und Sport ist in dieser Presse gewiss kein Zufall. Die schöne neue Welt des allseits vernetzten und unentwegt kommunizierenden Volkskapitalisten ist vielleicht nicht demokratisch, aber sie ist hemmungslos populistisch. Der Kapitalismus in seiner Turbophase braucht eigentlich keine Eliten mehr, kein Wissen und keine Kultur. Nur Medien, die braucht er.

Um einen harten Kern jener Profis, die immer noch „Peanuts!“ schnarren, lagert sich ein amateurisiertes, semiotisch formiertes und die eigene Gier mit einer Mischung aus Trotz und Spott kontrollierendes Publikum der Neuen Mitte ab, das das Herrschaftswissen der ökonomischen Herrschaft populistisch zersetzt und in ihren Medien mit anderen Diskursen verbindet: Die Sprache der Börse ist die Sprache des Wetterberichts ist die Sprache des Tageshoroskops („Frage nicht nach, wenn es hilft“ – Melanie Contoli über Börsen-Astrologie) ist die Sprache der Lottoziehung ist die Sprache der Soap Opera ist die Sprache der Sportschau ist die Sprache der Politik. Was Wirtschaft als Erzählung vom Herrschaftswissen zum populistischen Mainstream an Veränderungen durchmacht, ist nicht bloß jene Trivialisierung, die Reinigung von allen Skrupeln und Zweifeln, die wir von der Neuen Mitte kennen. Dazu gehören auch:

– die Sexualisierung. Früher durfte man hoffen, Geld mache sexy. Jetzt ist Geld sexy. Und Sex ist Geld, wie wir in Bizz immer wieder erfahren. Amerikanische Headhunter beispielsweise, lesen wir da, sind auf der „Jagd auf Schwule und Lesben“. Macht euch aber nicht zu viele Hoffnungen, es handelt sich nämlich nur um „Eliteschwule und -lesben“. Wie Eliteschwule und Elitelesben aussehen, wissen wir wiederum aus dem Fernsehen.

– die Infantilisierung. Die Sprache des populistischen Universalkapitalismus ist so simpel, fraglos und selbstreferenziell wie das, was sich an Kult um eine Boy Group entwickeln mag. „Der Aktie fehlt der letzte Kick für einen Highflyer“ (Der Aktionär). Ist doch alles so einfach: „Übernahmen bedeuten Wachstum. Die einfache Formel des Erfolgs von Kamps“ (Die Tele Börse“). Happs!

– die Personalisierung. Natürlich begegnen wir auch auf den Seiten von Geld Idee und Tele Börse unseren Lieblingen, Thomas Gottschalk usw., aber auch die Erfolgsstorys haben Verwandtschaft mit den Stars unserer Daily Soap: „Mit viel persönlichem Einsatz hat er die Firma nach einigen Höhen und Tiefen wieder auf Erfolgskurs gebracht.“ Das ist (ein Beispiel aus Geld Idee) die Metastory hinter all den Erfolgsstorys der Geld-ist-geil-Presse, die auch so etwas wie ein kapitalistisches Vatermord-Epos umschließt: Die alten (Geld-)Säcke haben ausgedient, die Zeit ist reif für die „jungen Unternehmer und Unternehmerinnen“.

– die Visualisierung. Geld, Aktie, Job und Karriere werden zu Superzeichen, Grafiken und Kurven überwuchern und sagen alles. Das Auge giert mit. Während es sich stets weiter virtualisiert, versinnlicht sich das Geld in seiner Massenpresse auch wieder. Nicht als großes System von Kultur und Sprache, sondern als kleine Manie. Die Financial Times Deutschland verspricht „Navigation statt Überflutung“, aber die Werbung ist natürlich genau umgekehrt zu lesen: Die Geld- und Börsenpresse verspricht Navigation durch ein Chaos, das sie vor allem selbst schafft.

An journalistische Unabhängigkeit zu denken ist dabei natürlich idiotisch. Bernd Förtsch, der Herausgeber von Der Aktionär, ist einerseits bekannt aus der „3.sat Börse“ und andrerseits „Fondsverwalter“ von DAC Kontrast Universalfonds („bereits +128 Prozent Gewinn in diesem Jahr“), für den das wöchentlich erscheinende quietschbunte Magazin nicht müde wird, Reklame zu machen. Man kann wohl sagen, diese Presse wird von Leuten gemacht, die wissen, wovon sie reden. Vielleicht veröffentlichen sie auch nur den Inhalt des Papierkorbs ihres zweiten Assistenten.

Die Verlierer kommen in dieser Presse eigentlich nicht vor, Warnungen gibt es allenfalls vor der echten Kriminalität im Geschäft. Höchstens ein Leser schickt einmal ein Gedicht, das er „Börsenpoesie“ nennt, und das geht (in Tele Börse abgedruckt) so:

Schwarz der Tag

Ausgeschlossen

Alles dahin

seufz.

Infineon.

Die Leere im Depot

Not!

Natürlich passiert das – man kriegt die Aktie nicht, die man haben will und die mittlerweile verlost werden muss, was gefährliche Kränkungssymptome auslöst, die nicht immer so kultiviert abgefackelt werden können wie in einem Gedicht für die Tele Börse – nur im erwähnten erotisierten, infantilisierten und avancierten Börsenamateurismus. In dem wirkt die Geldgeil-Aktien-Presse nicht nur als Stimulans, sondern auch als Trost und Ersatz. Die Profis bleiben bei dem, was Bizz „High Potentials“ nennt: „Die Topmanager von morgen überzeugen durch den gelungenen Mix aus Fachwissen, Teamfähigkeit, unternehmerischer Denke und Führungspersönlichkeit.“

Nein, der Kapitalismus von morgen wird nicht mehr von „Nieten in Nadelstreifen“ geführt. Nadelstreifen sind nämlich out. Dass keiner sagt, niemand hätte uns gewarnt!