die stimme der kritik
: Betr.: Abhörprotokolle

DER DISKRETE CHARME DER STASI

Irgendwie hat doch alles sein Gutes, sogar die Machenschaften der Stasi. 170 laufende Meter messen allein die zusammengehefteten Protokolle über Lauschaktionen im Stasi-Archiv – und das ist nur ein Teil des Abhörmaterials, das der Ost-Geheimdienst über West-Prominenz zusammentrug. Schon im Jahre 1980 wurde bei der Stasi aktenkundig, dass die CDU-Kassenwarte Lüthje und Kiep schwarze Kohle auf Schweizer Konten verschoben – doch wie es sich für einen ordentlichen Geheimdienst gehört, blieb die Sache unter Verschluss.

Dass sie dort auch weiter bleibt, dafür will Helmut Kohl jetzt notfalls das Verfassungsgericht anrufen – doch eigentlich sollte er den Genossen vom VEB Horch und Guck dankbar sein: Ohne den diskreten Charme der Staatssicherheit wäre er wahrscheinlich gar nicht Kanzler geworden. Mit einem Dossier über die Schwarzgeld-Connections der CDU – rechtzeitig zum Wahlkampf im Westen lanciert – hätte die Stasi die „geistig-moralische Wende“ zur Kohl-Republik wahrscheinlich verhindert. Auch dem Untersuchungsausschuss zur Flick-Affäre, vor dem Kohl in den „Blackout“ flüchtete, hätten die Stasi-Lauscher auf die Sprünge helfen können. Sie taten es nicht – Kohl konnte den Doofen spielen und den Skandal schadlos aussitzen. Das will er auch jetzt, doch leider existiert die diskrete Staatssicherheit nicht mehr, sondern stattdessen ein Gesetz, das den Umgang mit ihren Akten regelt – von der Kohl-Regierung selbst erlassen und im Umgang mit ostdeutschen Politikern weidlich angewandt.

Doch plötzlich, wo es um ungesetzliche, antidemokratische Machenschaften im Westen geht, soll alles nicht mehr gelten – Deckel drauf, Akte zu ... unrechtmäßig erworbenes Wissen ... nicht als Beweismittel zulässig. Und die Verfassung, eben noch per Männer-Ehrenwort zur Lachnummer degradiert, hält brav als Hüterin des Rechtsstaats her. So nuttig wie die Bourgeoisie öffentlich mit der Wahrhheit umgeht, tat es die diskrete Stasi kaum im Geheimen – die Anarcho-Parole aus den 80ern ist im Mainstream angekommen: Legal, illegal, scheißegal. MATHIAS BRÖCKERS