Offizieller Bruch mit den Grünen

Anti-AKW-Gruppen rechnen auf ihrer Frühjahrskonferenz mit der Regierungspartei ab. Die Aktionsschwerpunktekönnten von den Castoren zur Urananreicherungsanlage in Gronau verlagert werden

aus Mülheim an der RuhrMARCUS MEIER

Den Bruch mit Bündnis 90/ Die Grünen hat die Anti-AKW-Bewegung auf ihrer Frühjahrskonferenz am Wochende in Mülheim an der Ruhr einhellig verkündet. Die Partei sei von einer Ausstiegspartei zur Steigbügelhalterin der Atomindustrie mutiert, heißt es in einer Presseerklärung der Konferenzvorbereitungsgruppe. Historische Aufgabe der Grünen sei es, den Atomkonflikt zu befrieden, um so einen ungestörten Weiterbetrieb der Atomanlagen zu ermöglichen. Die Anti-Atom-Bewegung müsse nun „eine radikale Kritik am Konsensnonsens“ organisieren, heißt es weiter.

Der Bruch mit den Grünen soll nun öffentlichkeitswirksam vollzogen werden. Es ist allerdings noch nicht klar, ob dies anlässlich der Verkündigung des Ausstiegskompromisses oder aber der grünen Bundesdelegiertenkonferenz am 24. Juni in Münster geschehen wird.

Zweiter Hauptschwerpunkt der künftigen Anti-AKW-Arbeit soll eine Urankampagne sein. Der Hintergrund: Die Bewegung befürchtet, dass sie durch die geplanten Zwischenlager an den AKW-Standorten, die Castor-Transporte mittelfristig unnötig machen würden, ihren Hauptkristallisationspunkt verliert. Zudem würde dadurch die in Teilen der Bewegung favorisierte Verstopfungsstrategie obsolet werden. Es sei nicht realistisch, die AKWs „an ihrem eigenen Müll ersticken zu lassen“ und sie dergestalt vom Netz zu blockieren, kritisierten Konferenzteilnehmer.

Durch eine Urankampagne könne vor diesem Hintergrund „ein neues und bisher unterbelichtetes Konfliktfeld“ erschlossen werden. Jährlich finden rund 50 Transporte aus der Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau in AKWs in 15 Ländern statt. Strategisches Ziel ist es, eine geplante Schienenerweiterung zu verunmöglichen. Zudem solle der bereits stattfindende Ausbau der Urananreicherungsanlage gestört werden. Das Problem: Bisher ist der Widerstand vor Ort in Gronau noch recht schwach organisiert.

Das Motto der theoretisch anspruchsvollen Konferenz in Mülheim lautete „Hinter der Strahlung steckt der Wert. Energiepolitik im entfesselten Kapitalismus“. Vor dem Hintergrund der Bewegungsflaute, des Karlsruher Parteitages der Grünen und der Folgen der Liberalisierung des Strommarktes wurde eine Neupositionierung der Bewegung anvisiert. Entsprechend waren gemeinsame Grundsatzdebatten angesagt: über den Kapitalismus; die konkrete Utopie; und nicht zuletzt über das Verhältnis der Bewegung zu den Grünen, deren „Befriedungspotenzial nicht unterschätzt werden darf“, wie Mitorganisator Thomas Binger eingangs betonte. Es sei fatal, dass man die Ausstiegsdebatte der Regierung und der Industrie überlassen habe, so Binger weiter.

Wolfgang Ehmke, Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg, meinte, die Anti-AKW-Gruppen müssten zu ihren Wurzeln als außerparlamentarische Bewegung zurückkehren.

In der Debatte wechselten sich revolutionistische Phraseologie und eher pragmatische Ansätze ab. Referent Ernst Lohoff von der Gruppe Krisis („Manifest gegen die Arbeit“) betonte, dass das Atomprogramm keine zufällige Verirrung, sondern logische Konsequenz des Kapitalismus sei. Dieser zeichne sich durch „Produktion um der Produktion willen“ aus, was zu einer Entfesselung des Energieverbrauchs führe, so der „Wertkritiker“. Doch bei der Benennung von konkreten Ansatzpunkten blieb er schwach. Lohoff forderte eine „neue Kultur der Verweigerung“ und „Ökostrom für Sozialhilfeempfänger“.

Die Gruppe Regenbogen aus Hamburg, eine GAL-Abspaltung, will eine Kampagne „Unsere Stadt atomstromfrei“ initiieren. An der Konferenz nahmen rund 130 Personen aus dem ganzen Bundesgebiet teil. Die Veranstalter hatten mit 150 bis 300 Teilnehmern gerechnet. Mit der Konferenz sei der „dringend notwendige Auftakt für eine Perspektiv- und Strategiediskussion der ganzen Bewegung“ gegeben, heißt es in Veranstalterkreisen.

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