Die CDU-Täter auf der echten Bühne

Kleines Theaterhaus in Jena inszeniert die Inszenierung von Politik und überführt Kanther & Co.

JENA taz ■ Vor diesen Juroren hat Manfred Kanther keine Chance. Das Publikum des kleinen Jenaer Theaterhauses fällt sein Urteil über den Law-and-Order-Mann, der auf die schiefe Bahn geraten ist. Es lacht ihn aus, durchschaut sein Politgestammel. Die meist jungen Besucher haben keine Mühe, die Gesten der Unschuld als bloße Inszenierung erkennen. Der Kanther-Darsteller Klaus Wessel erhält ein gefälliges Raunen für seine Unschuldsvariante.

Der Ort der rückhaltlosen Aufklärung ist dabei nicht etwa der große parlamentarische Untersuchungsausschuss in Berlin, sondern die Bühne. Am Theaterhaus in Jena hat sich ein Dutzend junger Leute über geheime Konten, Bargeldkoffer und, das am intensivsten, über die Phraseologie des Herausredens und Aufklärens hergemacht.

Das Stück „Was bleibt ist große Zuversicht“ kommt früh. Der Skandal um die CDU-Finanzkanalisation ist noch nicht zu Ende gebracht. Und es ist obendrein ein dramaturgisches Experiment, denn die Wirklichkeit täglich neuer Enthüllungen hatte selbst dramatische Züge angenommen. Wie kann das Theater die Berlin/Bonner Aufführung der CDU noch überbieten? „Es gilt, von der Politik zu lernen, um das Theater zu retten“, gibt der Berliner Regisseur Roland Brus kurzerhand als Leitmotiv seiner Arbeit aus.

Die Wirklichkeit, das Authentische hat den 35-jährigen Brus stets mehr fasziniert als das glatte Spiel: Früher arbeitete er mit Obdachlosen im Projekt Ratten 07; parallel zu Jena schickt er Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Tegel (AufBruch – Kunst Gefängnis Stadt) auf die Bühne.

Brus und sein Ensemble folgen keinem Plot. Sie arbeiten mit Collagen aus Video- und Tonbandeinspielungen, wortlosen Bildszenen und der in Einzelteile zerlegten und neu zusammengesetzten Phrase. Darin liegt vom ersten Augenblick an die Stärke der Inszenierung. Etwa, wenn die Spenden- und Politikmaulwürfe nächtens zusammenglucken. „Lasst uns doch mal den Wählerauftrag erfüllen“, schlägt einer vor – scherzhaft. Das löst ein derart befreites, amüsiertes, beinahe authentisches Lachen bei den Schauspielern aus, dass auch die Zuschauer nicht anders können. Sie bestätigen, ehrlich belustigt: Nicht nur die geschmierte Demokratie schert sich um das Wahlvolk nicht. Der Wählerauftrag an sich ist zum Witz verkommen.

Brus’ Aufführung aber ist keine moralische Veranstaltung zur Rettung der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung. Sie staunt auch über die Behandlung der Täter, denen kein Entrinnen mehr gegönnt ist vor den eigentlichen Ermittlern dieser Tage, den Journalisten. Sorgsam wird einem der Kofferträger das Verhör-/Interviewmikrofon ins Gesäß eingeführt – rückhaltlose Aufklärung eben.

Das Stück kommt früh – und doch gerade rechtzeitig, um jenen ein paar offene Fragen zu stellen, die von den vielen Höhepunkten der Decouvrierung von Kohl und Konsorten mittlerweile in der Ermattung Schutz suchen: Warum jetzt? Was ist der große Plan, der hinter der Enthüllung steckt? Wie kann es sein, dass ein Verlag punktgenau zu Beginn des Skandals den Rückblick eines der Hauptbeteiligten auf den Flick-Skandal, Eberhard von Brauchitsch, präsentieren kann? Dass ausgerechnet die Bild-Zeitung in einer plötzlichen investigativen Attacke das Schlüsseldokument des Skandals publiziert? Worin besteht der Leuna-Deal wirklich? Darauf weiß auch das Theater keine Antwort. Die großen Fragen mögen die Historiker behandeln. Ronald Brus und sein Ensemble sind für die Details da.

CHRISTIAN FÜLLER

Weitere Aufführungen: vom 5. bis 7. April und vom 13. bis 15. April, jeweils um 20 Uhr