Mädchen-„Material“

Gelungener Festival-Auftakt: Uraufführung von Lutz Hübners „Creeps“ im Baumhaus  ■ Von Ralf Poerschke

Große Bühnen haben für junge Zuschauer meist nur in der Weihnachtszeit etwas zu bieten, und auch das Schauspielhaus machte da in der Vergangenheit nur wenige Ausnahmen. Dafür gab es jetzt, kurz vor Frank Baumbauers Abschied als Intendant, eine richtig schöne Bescherung: eine neues (Zelt-)Theater, speziell errichtet für das Festival „100 x Theater für Kinder und Jugendliche“, das bis Juli laufen wird. Dieses „Baumhaus“, wie es sich nach den zwei Kastanien nennt, zwischen denen es hinter dem Schauspielhaus steht (und nicht in Anlehnung an den Nachnamen des Chefs), feierte nun seine Eröffnung mit der Uraufführung von Lutz Hübners Jugendstück Creeps. Und vollkommen zu Recht umjubelten Groß und Klein den Autor, die Regisseurin und die Schauspielerinnen.

Drei Mädchen sind zum Casting für die Moderatorinnenstelle der neuen trendigen Musik- und Mode-Show „Creeps“ in eine Fernsehstudio eingeladen, aber Maren (Juliane Niemann) und Petra (Franziska Henschel) gehen davon aus, dass sie den Job schon haben. Nur Lilly (Joanna Kitzl) checkt die Lage, wie sie überhaupt den anderen in puncto Selbstsicherheit, Intellekt, Rhetorik und Schlagfertigkeit weit überlegen scheint. Allerdings trägt sie mit ihrem sexy Getue sehr dick auf, und das viele Geld kriegt sie von Papi, der ein hohes Tier in den Medien ist. Maren ist dagegen das verkrampfte, naturtrübe Kelly-Kind, ungeschminkt und ökologisch engagiert. Sie bringt schlechte Noten mit ins verkorkste Elternhaus und ist Dauergast beim Schulpsychologen. Petra ist noch eine Nummer schlichter gestrickt, kommt nicht von ungefähr aus Chemnitz, hat dafür aber ein Herz aus Gold, kann prima tanzen und war in „KM Stadt“ mal „Miss Big Apple“.

Aus dem Off erhält das Trio Anweisungen von Redakteur Arno (Oliver Masucci, alternierend Oliver Mallison) in denglischem Pseudo-Jugendsprech: Selbstdarstellungen, Ansagen, Interviews sollen improvisiert werden. Zwischen den Mädchen entbrennt ein gnadenloser Konkurrenzkampf – bis Tränen fließen und es gar handgreiflich wird. Als sie schließlich per Zufall entdecken, dass ihnen hier ganz übel mitgespielt wird, nehmen sie das Studio auseinander. Aber auch diese Reaktion erweist sich als kalkuliert herausgefordert: Sie sind nur „Material“ für ein Show, die schon längst eine Moderatorin hat.

Regisseurin Sabine Boss reizt das Potenzial des Textes bis zum Anschlag aus, setzt die Pointen zielsicher und hat noch eine Menge Einfälle darüber hinaus. Wohlkalkuliert ist ihr Umgang mit Klischees: Sie verarbeitet sie gründlich, ohne je wirklich zu übertreiben. Und für diese Gratwanderung hat Sabine Boss enorm starke Nachwuchsschauspielerinnen gefunden, die ihre Figuren fest im Griff haben und sich mitunter sehr mutig exponieren. Juliane Niemanns Maren spielt sich glaubwürdig an den Rand des Nervenzusammenbruchs, Joanna Kitzl stattet Lilly mit viel Charakter hinter der cool-fiesen Fassade aus, und Franziska Henschel tanzt als Petra manchmal so exakt aus dem Takt, dass es eine Freude ist. Diesen Talenten in einem klug gebauten, hoch engagierten – und dabei keineswegs dumpf moralisierenden – Stück zuzuschauen, macht nicht allein Jugendlichen viel Spaß.

 weitere Aufführungen: heute und morgen, 11 Uhr, 29. April, 18 Uhr, 30. April, 18 Uhr, 12. Mai, 11 Uhr, 13. Mai, 19 Uhr, 24. Mai, 11 Uhr, 27. Mai, 19 Uhr, 28. Mai, 18 Uhr, sowie im Juni und Juli, Baumhaus (hinterm Schauspielhaus)