Rollstuhlfahrer im Abseits

Im Olympiastadion müssen Rollifahrer hinter dem Gästefanblock stehen. Dort sind sie immer wieder Pöbeleien der auswärtigen Fußballfans ausgesetzt. Die Sanierung des baufälligen Stadions soll die Situation der Behinderten verbessern

von SILVIA LANGE

15 Uhr 30, Anpfiff im Olympiastadion. Zehn Rollstuhlfahrer haben sich schon lange vorher auf ihre Plätze gestellt: Aus der letzten Reihe der Blöcke F, G und H sind die Sitzbänke für sie entfernt worden. Entfernt aber haben die Rollifahrer auch ihre blauweißen Hertha-Schals und die gleichfarbigen Mützen – zu ihrer eigenen Sicherheit.

Denn direkt vor ihnen sitzt der Fanblock von Schalke 04. Die Fußballfans aus dem Ruhrpott tragen zwar auch blauweiß, doch die Rollifahrer wollen sie nicht provozieren. Zu oft mussten sie schon Aggressionen der enttäuschten auswärtigen Fans über sich ergehen lassen.

Stellplätze für Rollstuhlfahrer außerhalb des Gästefanblocks gibt es im Olympiastadion offiziell nicht. Doch seit dieser Saison macht der Fußballclub bei Heimspielen Ausnahmen. Einige Rollifahrer dürfen das Spiel dort verfolgen, wo das „unabhängige Publikum“ sitzt. „Ich finde die Stimmung hier sehr viel angenehmer“, erzählt eine Begleiterin von zwei behinderten Kindern. Doch wenn diese zur Toilette müssen, gibt es ein Problem: Die einzige behindertengerechte Toilette des Stadions befindet sich im Gästefanblock.

Das widerspricht den Vorstellungen von Martin Marquardt vom Berliner Behindertenverband. Er fordert „keine Sonderlogen, sondern Rollstuhlplätze in verschiedenen Preiskategorien“. Die baulichen Bedingungen seien so schnell nicht zu ändern, sagt dagegen Hertha-Sprecher Hans-Georg Felder.

Eine Platzgarantie gibt es für Rollstuhlfahrer nicht. „Im Gegensatz zu früher kann mein Sohn keine Dauerkarte erwerben“, erzählt die Mutter eines behinderten Fans. Er müsse zwar Tage vorher den Behindertenfahrdienst „Telebus“ für die An- und Abfahrt bestellen, doch trotzdem komme es vor, dass die 60 Behindertenplätze schon besetzt seien. Wer einen sicheren Stellplatz will, muss zwei bis drei Stunden vor Spielbeginn dort sein. Doch wer in dieser Zeit aufs Klo muss, hat Pech gehabt: Vor dem Stadion gibt es gleich gar keine Behindertentoilette.

Das ist für die zuständige Stelle in der Senatsbauverwaltung „nicht befriedigend“. Auch dass die Begleitpersonen hinter den Rollstuhlfahrern stehen müssen, entspreche nicht „modernen Anforderungen“.

Abhilfe soll die Sanierung des baufälligen Olympiastadions schaffen. Nach den Vorgaben der Senatsverwaltung sollen 200 bis 250 Stellplätze für Rollstuhlfahrer ständig verfügbar sein. Auch die Zugänge zum Stadion sollen verbessert werden: Bisher quetschten sich die Rollstuhlfahrer mit den auswärtigen Fans durch eine enge Tür.

Künftig sollen an allen Eingängen stufenlose Übergänge geschaffen werden. Die sanitären Anlagen sollen ausgebaut werden, so dass die Rollstuhlfahrer Plätze in verschiedenen Preiskategorien finden können. Durch Aufzüge soll ihnen auch der obere Rangumlauf erschlossen werden.

Diese Ausbauten hat das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner noch nicht im Detail geplant. Mit den zuständigen Senatsstellen und Behindertenverbänden werde derzeit „an einer Optimierung gearbeitet“, hieß es aus dem Büro.

Obwohl die Sanierung schon im Mai beginnen soll, ist die Finanzierung noch nicht endgültig geklärt. Die Verhandlungen zwischen Senat und dem Investor, der Walter Bau AG, ziehen sich seit Ende letzten Jahres hin. Wenn also überhaupt pünktlich mit der Sanierung begonnen wird, dann ist für die Rollstuhlfahrer noch lange keine Besserung in Sicht: Rollstuhlgerecht ist das Stadion frühestens in vier Jahren.