Münte ruft, Berlin winkt ab

Vorwahlen, bei denen Quereinsteiger eine Chance haben, brächten der Landespolitik frischenWind. Deshalb können sich die vier Berliner Parteien nicht für den Müntefering-Coup begeistern

von RALPH BOLLMANN

Muss erst ein Westfale kommen, um die Berliner zu erlösen? Kommt endlich frischer Wind in die politische Klasse des alten Westberlin, wenn der Vorschlag von SPD-Generalsekretär Franz Müntefering auch in der Hauptstadt selbst Gehör findet – und die BerlinerInnen künftig in Vorwahlen selbst bestimmen können, wer für das Amt des Bürgermeisters antritt, politische Quereinsteiger eingeschlossen?

Dann könnten die Berliner selbst entscheiden, ob es für sie wirklich keine Alternative gibt zu Eberhard Diepgen (CDU), Stadtoberhaupt seit 1984 und mittlerweile reichlich ausgelaugt, und SPD-Landeschef Peter Strieder, der in Umfragen so schlecht abschneidet wie kaum jemand sonst.

All jene, die mit dem Mief der lokalen Politik so hart ins Gericht gehen – sie könnten endlich zeigen, wie man’s besser macht. Soll sich doch der Unternehmer Peter Dussmann auf den Schild heben lassen und mit der Stadt ohne Ladenschluss experimentieren! Soll doch Edzard Reuter tun, was ihm die SPD stets versagte – probieren, ob ihm die Schuhe seines Vaters wirklich passen!

Kein Wunder, dass die Berliner Parteien den Vorstoß des SPD-Generals am liebsten ins Leere laufen ließen – am lautesten die eigenen Genossen. „Die Berliner Erfahrungen mit der Urwahl haben gezeigt“, tönt der Parteivorsitzende Strieder, „dass es nicht ratsam ist, das Verfahren der Kandidatenauswahl auszuweiten.“

Gewiss, zweimal schon hat die SPD-Basis, ganz demokratisch per Mitgliederentscheid, Verlierertypen ins Rennen geschickt: Walter Momper hatte gegen Diepgen so wenig Chancen wie Ingrid Stahmer. Denn bei einer parteiinternen Urwahl pflegen die Mitglieder jene Kandidaten zu bevorzugen, die ihre Kreise am wenigsten stören. Das aber hat Müntefering gerade nicht vorgeschlagen: Ein SPD-Wähler soll sich auch ohne Parteibuch an der Entscheidung beteiligen können, hinter welchem Namen er am Wahltag sein Kreuzchen machen muss.

Bei der Berliner CDU ist, wie gewohnt, alles paletti – kein Handlungsbedarf. Quereinsteiger? Da haben die Christdemokraten doch gerade den parteilosen Kultursenator Christoph Stölzl ins Boot geholt. Mitgliederschwund bei den Volksparteien? Ein Problem der SPD. Urwahl von Bundestagskandidaten? Die gibt es bei der CDU bereits, allerdings in Nordrhein-Westfalen. Ein Vorschlag immerhin, sagt Landesgeschäftsführer Matthias Wambach, den man in die bundesweite Debatte zur Parteireform einbeziehen könne.

Auch bei der PDS, die sich schon bisher mit manchem Quereinsteiger schmückte, mag die rechte Begeisterung nicht aufkommen. Und die grüne Vorstandssprecherin Regina Michalik fürchtet bei Vorwahlen nach amerikanischem Muster einen „reinen Personenwahlkampf“, bei dem „Inhalte nicht mehr zählen“. Wahlentscheidend sei dann nicht das bessere Konzept, sondern die Höhe der Spenden aus der Industrie.

Mag sein, dass sich das amerikanische Modell unter deutschen Verhältnissen nicht unverändert anwenden lässt. Es lässt sich auf ein Mehrparteiensystem nur mühsam übertragen – und es würde voraussetzen, den faktischen Abschied von der Mitgliederpartei auch formal nachzuvollziehen.

Aber die dröge Beharrungskraft der vier Berliner Parteien fordert den radikalen Schnitt geradezu heraus. Die Bräsigkeit, mit der die Landespolitiker noch nicht einmal die parteitaktische Durchschlagskraft von Münteferings Vorschlag erkennen, fordert zu neuen Experimenten geradezu heraus. Es müssen ja nicht Peter Dussmann oder Edzard Reuter sein. Aber spannender als bisher wird es allemal.