Abgetanzt und abgelatscht

So viel Anfang war nie. Die Personalie ist geklärt. Doch alle Fragen bleiben offen: Kaum hat Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen Christoph Stölzl zum neuen Kultursenator gekürt, schon redet er den Theatertod herbei
von RALPH BOLLMANN

Das Publikum hörte schon die Tomaten auf den Gesichtern der Intendanten zerplatzen und den Saft von den schwarzen Sakkos der Kunstschaffenden auf die Bühnenbretter tropfen. Berlins Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) hatte wieder einmal den Kultur-Rüpel gegeben. „Abgelatschte“ oder „abgetanzte“ Künstler dürften nicht mehr mit öffentlichen Zuwendungen rechnen, pöbelte der Regierungschef, der sich nach 14 Jahren Amtszeit noch immer für putzmunter hält.

Während die Intendanten noch rätselten, ob dem Mann ein „Ausrutscher“ unterlaufen sei, legte Diepgen flugs nach. In Paris oder New York sei es eine Selbstverständlichkeit, dass ein Haus auf- und das andere zumache. Auch für Berlin will Diepgen nicht länger ausschließen, dass erneut ein Theater seinen Spielbetrieb einstellen muss – sieben Jahre nachdem die schwarz-rote Landesregierung mit dem Aus für das Schiller Theater ein Exempel statuiert hatte.

Am Freitag erst hatte Diepgen den Museumsmann Christoph Stölzl, zuletzt Feuilletonchef bei der Welt, zum neuen Senator für Kultur und Wissenschaft erkoren. Doch die Debatte über die Zukunft von Kunst und Geist in der Hauptstadt ist damit nicht zu Ende. Sie fängt erst richtig an.

Vier Milliarden Mark, rund ein Zehntel des Landeshaushalts, gibt Berlin im Jahr für die drei Universitäten und fünf landeseigenen Fachhochschulen aus, für drei Opernhäuser, fünf Staatstheater und drei Orchester. Doch das Geld reicht an allen Ecken und Enden nicht. Schon trauen sich Rezensenten kaum noch, missratene Aufführungen harsch zu kritisieren – sie könnten ja dem nächsten Theatertod den Weg bereiten. Abwegig sind solche Ängste nicht. Das kleinste der drei Musiktheater beispielsweise, die Komische Oper, hat am Sonntagabend die dritte Premiere in Folge in den Sand gesetzt. Prompt leben Schließungsgerüchte wieder auf, die bereits erledigt schienen.

Den neuen Senator interessieren solche Szenarien wenig. Nicht als Theatermörder ist Stölzl angetreten, sonders als ranghöchster Entertainer der Hauptstadt. „Ein Ende von Zank und Häme“ will er der Berliner Kultur verordnen, „denn nur den Fröhlichen gehört die Zukunft“.

Durch einen genauen Blick aufs Konto ist Stölzls gute Laune nicht getrübt. Die CDU-Vorstandsfrau Christa Thoben war nach 100 Tagen mit ihrem Versuch gescheitert, Ordnung in die maroden Berliner Kulturfinanzen zu bringen. Mit Stölzl kehren nun die Prinzipien seines Vor-Vorgängers Peter Radunski (CDU) zurück, der das Desaster mittels großer Worte und kreativer Buchführung verschleierte. Wenn am Ende der kulturelle Output stimmt, so das Kalkül des lebensfrohen Bajuwaren, werden es die Politiker am finanziellen Input schon nicht fehlen lassen. Als Stölzl noch im Auftrag Helmut Kohls das Deutsche Historische Museum leitete, überzeugte der Erfolg seiner Ausstellungen sogar die damalige SPD-Opposition.

Vor allem den Bund will Stölzl jetzt in die Pflicht nehmen. Für das „dreifache Erbe aus Preußen, DDR und Kaltem Krieg, das Berlins Kulturglück und -elend“ ausmache, fordert er ein Engagement „im nationalen Konsens“. Da wird Stölzl, der ohne Punkt und Komma reden kann, beim Staatsminister für Kultur noch einige Überzeugungsarbeit leisten müssen. Ohne größere Mitsprache des Bundes wird das nicht abgehen – ob er in einer Stiftung mitbestimmt oder ganze Theater und Museen übernimmt. Schon jetzt regiert Michael Naumann als heimlicher Kultursenator mit. Im Kampf um die Hochkultur könnte freilich jene geistige Grundversorgung auf der Strecke bleiben, die das Land allein bezahlen muss.

Ohnehin muss der Berliner Kultursenator Macht abgeben, um wieder an Einfluss zu gewinnen. Das finanzielle Verantwortungsbewusstsein der Berliner Bühnen ist auch deshalb schwach ausgeprägt, weil die Politik bislang über jeden Haushaltsposten bestimmte. Das Landesparlament müsse sich „von gewohnten Möglichkeiten direkter politischer Einflussnahme auf Personal-, Programm- und Etatentscheidungen lösen“, schrieben Kulturexperten schon vor einem halben Jahr in einer Studie, die der Senat selbst bestellt hatte.

Alles deutet darauf hin, dass es hinter den Berliner Kulissen spannender bleibt als auf der Bühne. Die Scheinwerfer aber richten sich jetzt auf Stölzl. Und die Tomaten, die der Bürgermeister warf, werden schon bald den Senator treffen.

Zitat:DER KÜNFTIGE KULTURSENATOR STÖLZL:Berlins Kultur braucht ein Ende von Zank und Häme. Nur den Fröhlichen gehört die Zukunft.