Dankbarer Genosse

Alexander Schalck-Golodkowski gehört zu den schillerndsten Figuren der DDR. Nun hat er seine deutsch-deutschen Memoiren verfasst

von WOLFGANG GAST

Der Flüchtling erinnert sich: „Als ich in der eiskalten Nacht vom 2. zum 3. Dezember 1989 mit meiner Frau Sigrid zum Grenzübergang Invalidenstraße fuhr, fühlte ich mich von meinem Staat, meiner Partei und dem MfS – dem wir beide angehörten – verlassen. Ich hatte Angst um mein Leben.“ Alexander Schalck-Golodkowski, 67 Jahre, notiert: „Dieser Grenzübergang war eine Flucht.“ Kurz zuvor hatte Wolfgang Vogel, DDR-Bevollmächtigter für den Häftlingsfreikauf und Agentenaustausch, das Ehepaar gewarnt: „Ihr habt noch zwei Stunden, dann werdet ihr verhaftet.“

Über Nacht war der bis dahin weithin unbekannte Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel ins Visier der Öffentlichkeit und der Staatsanwälte in der DDR geraten. Zu Unrecht, wie er noch heute findet. „Es war die dezidierte Politik der Staats- und Parteiführung, die Arbeit des Bereichs Kommerzielle Koordinierung unter Geheimhaltung zu stellen“, schreibt Schalck-Golodkowski, Gründer und langjähriger Leiter ebenjenes Bereiches, der mit dem Kürzel „KoKo“ versehen wurde.

Pünktlich zur Leipziger Buchmesse brachte der Rowohlt Verlag jetzt Schalcks Autobiografie auf den Markt. Das Buch trägt den Namen „Deutsch-deutsche Erinnerungen“, der frühere Chefredakteur der Bild-Zeitung, Hans-Hermann Tiedje, half Schalck, sein Leben in ein mildes Licht zu rücken. „Meine Macht war das Geld“, schreibt Schalck. Doch mit der Implosion des realen Sozialismus hatte die ein Ende. „In der Wendezeit wurde ich zum Sündenbock für die Politik ebendieser Staats- und Parteiführung. KoKo und meine Person wurden zum Zielpunkt endloser Spekulationen und Legendenbildungen. KoKo galt als Hort des Bösen.“ Schalck mutierte über Nacht zum Synonym für Amtsmissbrauch und Unterschlagung, für Korruption und Privilegien.

Viele Namen sind dem Mann seit seinem spektakulären Abgang in den letzten Tagen der DRR verpasst worden. Für die einen war er der „SED-Goldfinger“, anderen galt er als „Chefdevisenbeschaffer“, als Hightechschmuggler oder Waffenhändler. Seine früheren Untergebenen nannten ihn einfach „Big Alex“. Der Bundesnachrichtendienst, dem sich das Ehepaar Schalck nach der Flucht in den Westen anvertraute, führte den prominenten Überläufer unter dem Decknamen „Schneewittchen“. Als „Offizier im besonderen Einsatz“ der Staatssicherheit leitete Alexander Schalck-Golodkowski, der am 3. Juli 1932 als Sohn eines Kraftfahrers in Berlin geboren wurde, jahrzehntelang ein weit verzweigtes Netz streng geheimer Auslandsfirmen. Jahr für Jahr erwirtschaftete er hunderte von Millionen an Devisen, die den hoch verschuldeten Haushalt der DDR stützen halfen. Es waren „zwischen 1967 und 1989 annähernd 26 Milliarden“, wie Schalck schreibt. Nicht eingerechnet „die Erlöse aus den Kirchengeschäften“. Damit gemeint sind die Zahlungen der alten Bundesrepublik für die Freilassung von DDR-Häftlingen und Familienzusammenführungen.

Schalck, über dessen Bereich der Menschenhandel abgewickelt wurde: „Für mich war die DDR der bessere Staat, und ich sah in einem Ausreisewunsch auch einen Akt der Undankbarkeit.“ Ehrgeiz und Selbstgefälligkeit durchziehen seine „deutsch-deutschen Erinnerungen“. Der Senkrechtstarter in der DDR-Hierarchie sagt, er habe zu den Besten gehören wollen, denn „das Erlebnis, aus dem Kollektiv hervorzutreten, genoss ich sehr“. Mit Ungeduld habe er auf seine Aufnahme als Kandidat in die SED gewartet. Wenig später, 27 Jahre jung und schon Kreisleiter der Partei, vermeldet er stolz, „eine Stelle inne“ zu haben, „die unmittelbar unter der eines stellvertretenden Ministers angesiedelt war“.

Als in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 die innerdeutsche Mauer errichtet wurde, war Schalck als Mitglied der Kampfgruppen des Außenhandelsministeriums in Berlin an Ort und Stelle. „Als stellvertretender Kommandeur erfuhr ich gleich, was vorging: Die Regierung der DDR schloss in Abstimmung mit den Staaten des Warschauer Vertrages unsere Staatsgrenze.“ Er war ein Held der Arbeit, wenn auch der klandestinen. „Ich wurde allein mit über fünfzig Orden und Medaillen ausgezeichnet, mehr als ich an einer Ordensschnalle tragen konnte“, erinnert sich das Arbeiterkind. Und weiter: „Als Aktivist erhielt ich einmal dreihundert Mark der DDR, später verlieh man mir für meine Verdienste als Unterhändler in den deutsch-deutschen Beziehungen sogar zweimal die höchste Auszeichnung der DDR, den Karl-Marx-Orden, der mit einer Prämie von zwanzigtausend Mark der DDR verbunden war.“

Die Schattenseiten seines Wirkens blendet der Mann, der sich heute als „Verlierer der Geschichte“ bezeichnet, allerdings weitgehend aus, beispielsweise, dass er mit dem Segen der friedliebenden SED-Parteiführung einen florierenden Waffenhandel betrieb, unter anderem auch in den Achtzigerjahren mit beiden Parteien im Krieg zwischen dem Irak und Iran. Mehr berichtet Schalck von seinen Höhepunkten im Leben. Einen erkennt er, als es ihm 1983 mit dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß gelang, einen Milliardenkredit bundesdeutscher Banken für die devisenarme DDR zu organisieren. Zwischen beiden entwickelte sich „eine ungewöhnliche Vertraulichkeit und Intensität“. Ein ganzes Kapitel ist der Männerfreundschaft gewidmet, neue Erkenntnisse bietet es aber nicht.

Minutiös geht Schalck auch auf die Vorwürfe ein, die gegen ihn nach seinem „Grenzübertritt“ im Dezember 1989 erhoben wurden. So, als wären es Trophäen, listet er neben den Untersuchungsausschüssen des Bundestages auch die sechs Gerichtsverfahren auf, in denen die Staatsanwälte ihn zur Rechenschaft zogen. 1997 wurde er wegen eines Verstoßes gegen die Embargobestimmungen zu einer sechzehnmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Schalck nahm es hin: „Ich war bei allem persönlichen Ehrgeiz ein überzeugter Sozialist und glaubte auf der richtigen Seite zu stehen.“

Heute betreibt der Mann in Rottach-Egern am Tegernsee das Unternehmen mit dem Firmenzweck „Handel mit Waren aller Art“. Und die richtige Seite scheint er auch wieder gefunden zu haben. Bei der jüngsten Bundestagswahl, so gab er kürzlich in einem Interview zu Protokoll, habe er „die Partei gewählt, die das Lebensniveau in Bayern auch in Zukunft sicherstellen wird“.

Alexander Schalck-Golodkowski: „Deutsch-deutsche Erinnerungen“. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000, 348 Seiten, 45 DM