Strahlenschutz novelliert

Trittin senkt die Grenzwerte leicht und regelt die Entsorgung von AKW-Schrott neu. Strahlenbiologe kritisiert die Novelle als halbherzig

BERLIN taz ■ Die Bundesregierung will den Strahlenschutz verbessern. Gestern stellte Umweltminister Jürgen Trittin die Kernpunkte der neuen Verordnung vor. Danach sollen die Grenzwerte für die maximale radioaktive Belastung um ein Drittel gesenkt werden. Ein Bürger darf dann einer Belastung von nur 1 Millisievert (mS) pro Jahr ausgesetzt werden anstatt 1,5 mS. Der Grenzwert für die 340.000 Leute, die beruflich Strahlung ausgesetzt sind, soll um mehr als die Hälfte, von 50 auf 20 mS, gesenkt werden.

Das Umweltministerium folgt damit den Empfehlungen der Euratom-Richtlinien der EU, die bis Mitte Mai in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Der Strahlenbiologe Wolfgang Köhnlein nannte die Novelle einen „Schritt in die richtige Richtung, aber ein zu kurzer Schritt“. Seit die Strahlenschutzverordnung erlassen wurde, habe sich das Wissen um Strahlenschäden weiterentwickelt, erklärt der emeritierte Professor an der Universität Münster gegenüber der taz. „Das Strahlenrisiko ist damals um etwa den Faktor zehn unterschätzt worden – eigentlich hätte man die Werte entsprechend senken müssen.“

Köhnlein ist stellvertretender Leiter der Strahlenschutzkommission (SSK), die das Umweltministerium berät. Er gilt als einer der renommiertesten Kritiker der bisherigen Strahlenschutzpolitik und wurde von Trittin in die SSK berufen, kann sich dort aber nicht immer gegen die der Atomindustrie nahe stehende Forscher durchsetzen.

Die Einstellung auf die neuen Grenzwerte wird nach Schätzungen des Umweltministeriums einmalig 250 Millionen Mark und dann 50 Millionen Mark jährlich kosten, vor allem in Krankenhäusern. Erstmals sollen die Grenzwerte auch die natürliche Radioaktivität berücksichtigen. Immerhin ist etwa eine Pilotin oder ein Steward auf einem Nordatlantikflug einer Belastung durch kosmische Strahlung von bis zu 0,1 mS ausgesetzt.

Für schwangere Frauen in solchen Berufen gilt, dass künftig ihr Embryo nicht mehr als 1 mS Radioaktivität abbekommen darf. Hier ist die deutsche Novelle auf Drängen der Strahlenschutzkommission deutlich strenger als die EU-Vorgaben. Trotzdem ist die Regelung umstritten, weil Embryos besonders gefährdet sind. Besser wäre es in jedem Fall, den Embryo gar keiner Strahlung auszusetzen, wie auch Köhnlein zu bedenken gibt. Bislang verbot die Strahlenschutzverordnung schwangeren Frauen den Zugang zu Kontrollbereichen. Da aber künftig erheblich mehr Arbeitsplätze zu diesen Bereichen zählen werden, hätte das nach Einschätzung Trittins die Berufsmöglichkeiten von Frauen erheblich beeinträchtigt.

Erstmals soll mit der Strahlenschutznovelle die so genannte Freigabe von radioaktiven Stoffen aus der besonderen Überwachung bundeseinheitlich geregelt werden. Dabei geht es um den Umgang mit Müll aus dem Abriss von AKWs und die Frage, ab welcher Strahlung etwa Betonwände nicht mehr als Sondermüll behandelt werden müssen.

Die Novelle verbietet, die Freigabe-Grenzwerte durch Verdünnung zu erreichen. Voraussetzung für eine Freigabe ist auch, dass es selbst im ungünstigsten Fall nicht zu Belastungen einer Person mit mehr als 0,01 mS pro Jahr kommen kann.

Schließlich sieht die Novelle, abweichend von den EU-Vorgaben, auch einen um sechzig Prozent niedrigeren Störfallplanungswert vor. Dies wird zwar die AKWs nicht treffen, die bereits auf den niedrigeren Wert ausgelegt sind, eventuell aber Anlagen für Produktion oder Entsorgung der Brennstäbe. Gegen diesen Teil gibt es denn auch Widerstand einiger Länder.

Das Kabinett will die Novelle noch vor der Sommerpause absegnen; anschließend muss der Bundesrat noch zustimmen.

MATTHIAS URBACH