„Green Cards besser versteigern“

Klaus F. Zimmermann, neuer Präsident des DIW, über die IT-Branche und den Zusammenhang von Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum

Interview: BEATE WILLMS

taz: Herr Zimmermann, Sie fordern Anreizsysteme für die Unternehmen und „sanften Druck“ zur Arbeitsaufnahme für Arbeitslose. Bisher stand das DIW für eine arbeitnehmerfreundliche und nachfrageorientierte Politik. Wie bringen Sie das zusammen?

Klaus F. Zimmermann: Sie müssen das im Kontext sehen: Strukturreformen und Wachstum gehören zusammen. Dabei brauchen wir einen aktivierenden Staat. Wie kann er helfen, Menschen zu mobilisieren und leistungsfähig zu machen? Politik muss so organisiert werden, dass alle Kräfte eingebunden werden.

Schließt ein solches Herangehen nicht die Aufklärung über den Widerspruch der Interessen von Kapital und Arbeit aus?

Das DIW soll nach außen weiter für Verteilungsgerechtigkeit stehen und hier auch weiter Grundlagenforschung betreiben. Das Arbeitslosigkeitsproblem lösen wir aber nur, indem wir mehr Arbeit schaffen, nicht indem wir anders verteilen.

In Westdeutschland geht es mit der Wirtschaft wieder bergauf. Reicht der Aufschwung, um die Arbeitslosigkeit abzubauen?

Zum einen ist gar nicht sicher, dass dieser Aufschwung nachhaltig ist. Gerade wegen unserer großen Exportorientierung bestehen weiterhin weltwirtschaftliche Risiken. Je nachdem, wie stark sich die amerikanische Konjunktur entwickelt, wird die amerikanische Zentralbank die Zinsen weiter hochsetzen. Und die Europäische Zentralbank wird immer wieder nachziehen, um den Außenwert des Euro zu sichern. Die Geldpolitik wirkt also restriktiv. Zum anderen hat die Arbeitslosenquote auch etwas mit der demografischen Entwicklung zu tun. Ältere Arbeitnehmer werden eher arbeitslos als junge. Bei der gegenwärtige Bevölkerungsentwicklung hin zu einem immer höheren Anteil von Alten spricht also wenig dafür, dass die Quote sinkt – im Gegenteil.

Das heißt aber doch nicht, dass Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit nichts miteinander zu tun haben?

Nein, aber Impulse, die vom Wirtschaftswachstum ausgehen, brauchen zumindest mehrere Jahre, um zu wirken. Umgekehrt allerdings haben Krisen meist zur Folge, dass die Arbeitslosigkeit hinterher größer ist. Arbeitnehmer werden schneller entlassen und verlieren umso mehr an Qualifikation, je länger sie arbeitslos sind. Zugleich bauen die Unternehmen bei mangelnder gesamtwirtschaftlicher Nachfrage den Kapitalstock ab. Hinterher fehlen dann diese Produktionsmittel, um den alten Beschäftigungsstand wieder zu erreichen.

Die höchste Arbeitslosenquote haben wir in Ostdeutschland. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.

Hier hat man den fatalen Fehler gemacht, das westdeutsche Strukturmodell kopieren zu wollen, statt konsequent auf neue Dienstleistungen zu setzen. Die Industrie konnte ja nur effizienter und mit weniger Arbeitsplätzen organisiert werden, sonst wäre sie nicht konkurrenzfähig gewesen. Jetzt ist es zu spät, die hohen Fördermittel sind weg. Der Osten ist abgehängt. Ich habe da auch kein Patentrezept.

Und die Bundesregierung?

Die hat nicht einmal ein besonderes Programm.

Was würden Sie der Bundesregierung denn generell raten, um die Arbeitslosigkeit abzubauen?

Sie muss ihren Teil zur Konjunktur beitragen und für eine Perspektive sorgen. Das versucht sie mit der Steuerreform, die die Nachfrage der privaten Haushalte stärkt, mit den niedrigeren Unternehmenssteuern will sie die Modernisierung der Wirtschaft und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen erhöhen.

Ist die Steuerreform gelungen?

Ich halte sie für Erfolg versprechend. Allerdings ist es problematisch, Kapital- und Personengesellschaften unterschiedlich zu behandeln.

Da die Bundesregierung den Unternehmenssteuersatz schlecht gleich wieder hochsetzen kann, müsste also auch die Einkommenssteuer weiter sinken?

Jetzt kann man nur noch nach unten korrigieren.

Das vergrößert das Problem der Gegenfinanzierung, das jetzt schon nicht gelöst ist.

Ein Teil wird sich durch die bessere wirtschaftliche Entwicklung selbst finanzieren. Der Rest muss entweder durch Ausgabenkürzungen oder durch höhere indirekte Steuern finanziert werden.

Wie weit wollen Sie die Mehrwertsteuer hinaufsetzen?

Das lässt sich so nicht sagen. Statisch gilt: Wenn wir die Einkommensteuern vollkommen ersetzen wollten, müssten wir die Mehrwertsteuer verdoppeln.

Wie vertragen sich höhere Mehrwertsteuern mit Ihrem Anspruch auf Verteilungsgerechtigkeit? Rentner, Sozialhilfebezieher und alle mit niedrigem Einkommen wären stärker belastet, weil sie einen größeren Teil ihres Geldes für den täglichen Verbrauch ausgeben.

Das muss man entweder durch eine Art negative Einkommensteuer kompensieren oder indem man die Mehrwertsteuersätze stärker differenziert, so dass einfache Dienstleistungen, Nahrungsmittel und Bücher mit ganz niedrigen Steuern belegt wären. Dazu braucht man aber eine mittelfristige Be- und Entlastungsrechnung.

Bei den Unternehmen wollen Sie diese Berechnung nicht anstellen? Es gibt doch keine Garantie, dass die das gesparte Geld investieren.

Bei hohen Steuern ziehen sie aber womöglich sogar weg. Wobei das zugegebenermaßen nicht das einzige Kriterium ist. Wichtig sind auch die Infrastruktur – und das notwendige Humankapital, also hoch qualifizierte Leute.

Zumindest im IT-Bereich hat sich Deutschland damit nicht gerade einen Namen gemacht, wie die Diskussion um die Green Card zeigt.

Deswegen plädiere ich auch für eine sehr offene Einwanderungspolitik nach Arbeitsmarktkriterien. Wenn hoch qualifizierte Arbeitskräfte kommen, sorgt das auch dafür, dass hier neue Arbeitsplätze entstehen, für niedriger qualifizierte Einheimische zum Beispiel.

Was heißt Einwanderungspolitik nach Arbeitsmarktkriterien?

Eine selektive Einwanderungspolitik. Wir öffnen damit Kanäle für Menschen, die in Segmente des Arbeitsmarktes drängen, die bei uns unterbesetzt sind. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten. Bisher entscheiden hier die Arbeitsämter aufgrund ihrer lokalen Einsichten aufgrund von Anfragen der Unternehmen. Das lässt sich durch die Vorgabe lokaler Quoten zentralisieren. Oder man lässt die Arbeitnehmer weltweit entscheiden, ob sie kommen wollen, und legt dann jährlich Kontingente fest, wenn die Bewerber bestimmte Qualifikationskriterien erfüllen, wie es etwa in Kanada geschieht. Oder man überlässt die Selektion den Unternehmen, die ja doch die beste Information über die Knappheiten haben. Am besten versteigert die Regierung eine bestimmte Anzahl von Green Cards. Die Unternehmen bezahlen dann dafür, dass sie auf dem Weltmarkt qualifizierte Arbeitskräfte anheuern dürfen, es würde also nur der entsprechende Bedarf eingekauft. Und der Staat nähme Geld ein.

Damit wäre der Angeworbene aber voll und ganz von dem Unternehmen abhängig, das ihn gekauft hat.

Das gibt es auch bei Fußballspielern, ohne dass wir dabei Probleme sehen. Solche Auktionen sind nur für temporäre Migrationen gedacht. Wenn der Arbeitsvertrag abläuft, muss die Person das Land wieder verlassen – es sei denn, sie findet eine neue Firma mit einem entsprechenden Vertrag.

Das klingt sehr wirtschaftsfreundlich. Und menschenfeindlich.

Es werden doch nicht Menschen versteigert, sondern Rechte, Menschen zu beschäftigten. Und die werden sehr gut dafür bezahlt.

Was ist mit dem sozialen Umfeld der eingekauften Fachkräfte?

Das kommt auf die politischen Opportunitäten an. Für mich wäre es selbstverständlich, dass die Familie mitkommt.