Kinder, Kochen und Klavier

Die Architektin Hilde Weström war eine Pionierin. In ihren Bauten versöhnte sie Ökonomie und Ästhetik. Das Verborgene Museum zeigt jetzt eine späte Hommage an die bauende Frau

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Wenn im Kino der Fünfzigerjahre Architektinnen auftraten, war es um die Ruhe der Männer bald geschehen. Denn die Frauen verwechselten Modernität mit schrägen Ecken und setzten Kunst an die Stelle von Gemütlichkeit. Doris Day und Ruth Leuwerik waren im Film als Innendekorateurinnen unterwegs, und schon dieses Herumlungern in fremden Wohnungen hatte etwas von erotischem Vagabundieren. Für Frauen war Architektur ein familiengefährdender Beruf, so lauteten die unterschwelligen Signale aus Wirtschaftswunderdeutschland und den USA gleichermaßen.

Das sah Hilde Weström ganz anders. Auf der „Interbau“ 1957 präsentierte die Architektin Modelle für ein flexibles Zusammenleben, das der Familie ihren Frieden und bessere Entwicklungsmöglichkeiten sichern sollte. Von der Berliner Morgenpost wurden ihre Vorschläge gleich als „Super-Heim“ gepriesen. „Zusammen und doch auch allein sein, arbeiten, basteln, kochen, Klavierspielen – und doch behaglich wohnen“, beschrieb die Architektin ihr Ziel. „Keiner stört – auch nicht die Kinder! Jeder hat seinen Platz – auch die Frau!“, führte sie mit Ausrufezeichen aus, wo die Meinungen sonst doch auf gegenteiligen Erfahrungen mit den üblichen Wohnungsgrundrissen beruhten.

Mit Faltwänden, Regalen aus Raumteilern, mit Stockbetten und Fluren, die als Spielfläche ausgewiesen waren, mit schlanken Möbeln, Klapptischen für Nähmaschinen, Wänden aus Einbauschränken und ausschwenkbaren Eckregalen, die selbst tote Winkel nutzbar machten, gelang ihr das Kunststück, auf 120 qm folgende Nutzungen unterzubringen: Küche, Essplatz, Wohnraum, Musikzimmer, Nähzimmer, 3 Kinderzimmer, Hobbyraum, Spiel- und Ankleideflur, Arbeitsplätze der Eltern, Schlafzimmer und Badezimmer. Vollgestopft sahen diese Räume für die „Stadt von Morgen“ dabei keineswegs aus, da große Fenster und der offene Grundriss für ein lichtes und fließendes Raumkontinuum sorgten.

Die zerstörte Stadt als Chance

Am Rande des Hansaviertels, nicht weit von der damaligen Interbau, steht der Berlin-Pavillon. Dort stellt der Kunstverein Das Verborgene Museum die Berliner Architektin vor: Sie war Pionierin, als sie sich 1932, mit zwanzig Jahren, für ein Maurerpraktikum und das Studium der Architektur entschied. Und sie ist es noch heute, denn vor ihr erhielt noch keine Architektin der Stadt eine Einzelausstellung im Berlin-Pavillon, obwohl sich dort die lokale Bauszene ausgiebig darstellt.

Mit vier kleinen Kindern und einem Juristen als Ehemann war Weström 1945 in Berlin angekommen. „Meine Chance war die zerstörte Stadt“, resümierte sie später ihren Einstieg in die Praxis: Bei der Planung von Behelfsheimen, Entwicklung von Fertigteilen, Schadensaufnahme, Reparaturen und Umbauten lernte sie den Umgang mit Behörden, Berechnung von Wirtschaftlichkeit und Baurecht. Diese Bedingungen des Bauens als Teil der Gestaltung zu begreifen und sich in Kommissionen für Verbesserungen der Richtlinien einzusetzen, zeichnet ihren Pragmatismus aus. Keine Materie war ihr zu trocken, zu bieder, zu banal. Bald übernahm sie große Projekte im sozialen Wohnungsbau; als sie mit dem „Super-Heim“ bekannt wurde, hatte sie schon fast 400 Wohnungen geplant und realisiert.

Der Mythos der „Trümmerfrauen“, die Steine zwischen den Ruinen klopften und mit bloßen Händen um das Überleben kämpften, hat solche Karrieren der frühen Nachkriegsjahre überstrahlt. Die aus dem Krieg zurückkehrenden Männer drängten die berufstätigen Frauen wieder zurück. Die Frauenbewegung der Siebzigerjahre bestand auf dem Ausbruch aus den geschlechtsspezifischen Rollenmustern und war deshalb nur mäßig an einer Tatkraft interessiert, die Küche, Haushalt und Kinder in den Mittelpunkt ihrer sozialen Reform stellte.

Familie und Karriere für alle

Hilde Weström wollte beides: Familie und Karriere. Nicht nur für sich, sondern für alle Nutzer ihrer Wohnungen. Den Spielraum innen so optimal nutzen, dass genug Energie für den Weg nach draußen bleibt. Das bezeugen ihre Grundrisse im Wohnungsbau ebenso wie ihre Vorträge und die Mitarbeit an DIN-Küchennormen.

Ihre schönsten Einfamilienhäuser baute sie in den Sechzigerjahren für Künstlerinnen, die in Hausschlappen in ihr Bildhaueratelier oder die Töpferwerkstatt hinüberwollten: Da waren Arbeit und Leben zu einer harmonischen Einheit verschmolzen, zumindest im architektonischen Bild. Die Raumfolgen aus den Bedürfnissen abzuleiten, führte zu einem überlegten Geflecht von Wegen und Sichtbeziehungen, die auch immer wieder in den Garten und weit darüber hinaus wiesen.

Mit Altenheimen, Schulen und Studentenwohnheimen wurden dem Büro Weström auch kommunale Bauaufgaben übertragen. Dabei vermied die Architektin die langen Flurachsen, die so schnell nach Anonymität, putzgerechtem Überblick und Kontrolle aussehen, und ließ stattdessen die kleinteilige Gliederung der Gemeinschaft auch außen an Vorsprüngen und Staffelungen erkennen. Der gewagteste Plan blieb allerdings 1959 ein bloßer Wettbewerbsentwurf: Da faltete sich die Fassade für ein elfgeschossiges Hochhaus in ähnlichem Zickzack wie die Faltwände der flexiblen Wohnung. In den Wohnungsgrundrissen, die wie Schuppen ineinander greifen, sind die rechten Winkel sanft verschoben und geöffnet. Doch solche Normabweichung wurde außerhalb von Anthroposophenschulen nicht geduldet.

„Hilde Weström – Bauten 1947–1981“, bis 30. 4., im Berlin-Pavillon, Straße des 17. Juni 11, der Katalog kostet 25 DM