„Gitarre ist der Faktor X“

Miles Davis machte auch ihn zum Sonderfall: Pat Metheny über „linken“ und „rechten“ Jazz, die Miniaturschulen der Jazzgitarristen und die Schwierigkeit, mit Gitarre glücklich zu sein

taz: Vor sechs Jahren haben Sie das sperrige „Zero Tolerance for Silence“ veröffentlicht, jetzt überraschen Sie mit einem fast schon klassischen Trio-Album. Was für ein Konzept steckt hinter Ihren so unterschiedlichen Projekten?

Pat Metheny: Ich bin ein Typ, der viele Interessen hat. Ich habe von Anfang an versucht, die Musik zu spielen, die mir gefällt. Mit dieser Haltung bin ich vor 30 Jahren als Musiker angetreten: als Fan.

Was für eine Art Fan waren Sie denn damals?

Die Initialzündung war bei mir, wie bei Millionen anderen Menschen auf diesem Planeten auch, der Moment, als die E-Gitarre plötzlich auftauchte. Ich meine nicht einfach als Instrument, sondern als Ikone der Jugendkultur. Dieser Moment kam für mich in den 60ern mit den Beatles.

Ich wurde erst zum Sonderfall, als mein älterer Bruder eine Miles-Davis-Platte nach Hause mitbrachte – das war’s dann. Ich war elf und wurde der Welt jüngster Jazz-Snob. Die ganze High-School-Zeit hindurch habe ich mir Aufnahmen von Miles Davis, Sonny Rollins, Coltrane und Clifford Brown angehört. Denn wenn du diese Art von Musik draufhaben willst, musst du für Jahre darin eintauchen.

Was hat der Jazz, was die Rockmusik nicht hat?

Jazz bietet eine unglaubliche Vielfalt. Hier geht es nicht nur um persönlichen Stil, sondern viel stärker um musikalische Formen. Da gibt es Riesenunterschiede. Für manche Leute gehört sogar Kenny G. zur Welt des Jazz (lacht).

Pat-Metheny-Hörer gelten nicht gerade als das typische Jazz-Publikum. Täuscht der Eindruck, oder haben Sie viele Fans in der alternativen Szene?

Mein Publikum ist definitiv eher links als rechts. Und wenn man an die verschiedenen Arten des Jazz denkt, muss das auch so sein. „Rechten“ Jazz, wie er von Wynton Marsalis und diesen Typen verkörpert wird, bekämpfe ich radikal, im Kopf und mit Taten. Jazz ist für mich keine Sache – es ist ein Prozess, eine Lebenseinstellung. Man darf keine Ideologie daraus machen, die darauf abzielt, einen Status quo zu erhalten. Manche Leute wollen Jazz als eine ganz bestimmte Form von Musik sehen – so wie Barockmusik. Um Jazz zu erklären, führen sie erstens, zweitens, drittens an. Diesen Leuten wollen nur ihre eigene Vorstellung exakt ins Zentrum des Universums zu rücken, ihnen geht es lediglich um persönliche Macht. Für mich ist Jazz at its best, wenn er als etwas Allumfassendes betrachtet wird. Man kann das auch politisch sehen. Dann sind wir bei der Freiheit des Einzelnen, und die ist das Entscheidende.

Als vor sechs Jahren Ihre Platte „Zero Tolerance For Silence“ erschien, war die Ratlosigkeit groß – der typische Metheny-Sound schien sich plötzlich in Lärm verwandelt zu haben. Hat Ihnen damals jemand geraten, zur Abwechslung mal laut, hart und aggressiv zu klingen?

Das hätte mir nur ein Vollidiot geraten. Auch meine erste Platte war auf ihre Art schon so aggressiv wie nur irgendetwas. Bloß fehlt vielen Leuten die Hörfähigkeit, die Heftigkeit des verwendeten Vokabulars zu bemerken. Bei „Zero Tolerance For Silence“ habe ich auf Technicolor verzichtet und nur eine einzige Farbe verwendet, weil es mir auf die Essenz ankam.

Eine Japanerin hat neulich zu mir gesagt, beim Hören meiner Platten sähe man immer diesen Fluss in der Ferne. Bei „Zero Tolerance“ stehe man selbst mittendrin. Das hat mir gut gefallen.

Zwei Kollegen, die zur selben Gitarristen-Generation gehören wie Sie und ein ähnliches Publikum ansprechen, sind John Scofield und Bill Frisell ...

... die ich beide sehr liebe. Gestern Abend habe ich hier im Hotel einen Typen gehört, der versuchte, haargenau wie Frisell zu klingen. Sogar wie er auf der Bühne stand, sah nach Frisell aus, das war lustig zu beobachten.

Andere Gitarristen klingen wie ich oder wie Sco. In den letzten 25 Jahren drehte sich alles um uns drei, und so entstanden gewisse Miniaturschulen, die unseren jeweiligen Einfluss reflektieren. Trotz unserer unterschiedlichen Spielweise haben wir aber eines gemeinsam: Wir wissen um die fundamentalen Probleme der Gitarre als Jazzinstrument, besonders was die Dynamik angeht.

Sind Jazzgitarristen wegen dieser Schwierigkeiten notorisch unglücklich? Jim Hall hat einmal gesagt, wenn er noch mal von vorne anfangen könnte, dann als Saxofonist ...

Na ja, Gitarrespielen ist eben nicht gerade einfach. Als Pianist spielst du so (schlägt mit der Hand auf den Tisch), als Schlagzeuger so (trommelt), auch als Bläser brauchst du nicht diesen Unsinn zu veranstalten (verrenkt sich, um die Haltung des Gitarristen anzudeuten). Aber dafür ist das Großartige an der Gitarre die Unberechenbarkeit des Sounds.

Wenn du eine Jazz-CD in die Finger kriegst und liest die Besetzung „Tenorsaxofon, Klavier, Bass und Schlagzeug“, brauchst du sie dir eigentlich gar nicht erst anzuhören, um zu wissen, wie sie klingt – egal ob es sich um supertraditionellen Kram oder abgefahrenes Avantgarde-Zeug handelt. Aber wenn du eine CD hast, auf der steht „Tenorsaxofon, Gitarre, Bass und Schlagzeug“, kann es alles Mögliche sein. Da könnte ein Typ auf einer Gitarre mit Nylonsaiten Bossa Nova zupfen, oder es könnte jemand auf einer E-Gitarre abrocken oder aufspielen wie Derek Bailey. Die Gitarre ist der Faktor X, das Mysterium. Ich kann alle möglichen Arten von Gitarren benutzen, je nachdem, was für eine Geschichte ich erzählen will.

Sie bereuen es also nicht, dass Sie Gitarrist geworden sind?

Wenn Sie mich vor 15 Jahren gefragt hätten, dann hätte ich das gleiche wie Jim gesagt. Aber jetzt muss ich sagen: Ich bin glücklich mit Gitarre.

Interview: JOCHEN VOIT