die stimme der kritik
: Betr.: Dahinter steckt immer ein kluger Kopf ...

„FAZ“ STÜRZT ÜBERSTÜRZT ROMANO PRODI

Treffen sich zwei KorrespondentInnen in Brüssel. Schwenkt der eine die FAZ: „Prodis EU-Kommission wankt. In Brüssel deutet manches auf ‚Königsmord‘ hin.“ Verdreht die andere die Augen und seufzt: „Dann wissen wir ja schon, womit wir uns heute beschäftigen.“ Denn was die Konkurrenz als so wichtig einschätzt, interessiert natürlich auch die eigene Redaktion.

Für unsere Leser, die die FAZ nicht als Zweitzeitung halten, sei es kurz zusammengefasst: Das Frankfurter Blatt kam gestern groß mit der Meldung raus, einige Kommissare wollten ihren Chef Romano Prodi zum Rücktritt bewegen, um ihren Kopf zu retten. Quelle: „einige europäische Politiker und Beamte“, „ein Abgeordneter des Europäischen Parlaments“.

Tatsächlich bleibt Brüsseler Journalisten oft nichts anderes übrig, als ihre Informanten zu verschleiern, wenn sie überhaupt brisante Erkenntnisse bringen wollen. Ein Mindestmaß an Logik darf man aber trotzdem erwarten. Denn wenige Zeilen später wird ein „EU-Diplomat“ mit der Erkenntnis zitiert: „Wenn Prodi geht, dann müssen auch die neunzehn anderen Mitglieder der Kommission zurücktreten.“ In der Tat. Warum also sollten sie ihn dann stürzen?

Und weiter im Text: Die Ratsgeschäfte führe zunehmend der spanische Generalsekretär Solana. Eine erstaunliche These. Denn wenn die Brüsseler „Kreise“ bisher eine Frage umgetrieben hat, dann die, womit sich eigentlich Solana so beschäftigt. Schließlich sieht und hört man ihn weit weniger als Prodi.

Deutscher und französischer Einfluss in den EU-Behörden werde zurückgedrängt, die Engländer machten sich überall breit, raunt es düster aus der Königsmord-Ballade zweiter Teil. Beleg: „Die Weltsprache Englisch löst in Konferenzen und Gesetzesentwürfen häufig die bisherige EU-Sprache Französisch ab.“

Die Beobachtung stimmt, doch für eine Verschwörungstheorie taugt sie wenig. Die Tatsache, dass französische Sprache und Strukturen in den Hintergrund treten, kann auch als längst fällige Demokratisierung gewertet werden. Das ist – zugegeben – eine völlig unspektakuläre Erklärung und liest sich längst nicht so süffig wie die Ballade vom Mordkomplott gegen den kleinen König Romano.

DANIELA WEINGÄRTNER