Schuldenfrei ohne Bedingung?

Kredite aus dem Ausland fließen häufig in zweifelhafte Projekte, kritisiert PEDRO MORAZÁN. Sie bekämpfen nicht die Armut, sondern förden die Exportindustrie. Deshalb muss das Geld, das durch den Schuldenerlass frei wird, in Sozialausgaben fließen.

„Sie wissen, es gibt Menschen, die sind einfach Verlierer. Es gibt Länder, die sind einfach Verlierer. Und wenn man denen die Schulden erlässt, ändert das auch nicht viel daran“, sagte Weltbank-Präsident James Wolfensohn vor einigen Tagen. Ein Journalist hatte ihn gefragt, ob es Sinn mache, die Schulden Afrikas zu erlassen.

Es gibt in den meisten verschuldeten Länder nicht einige, sondern sehr viele Menschen, die die Verlierer der gegenwärtigen Globalisierung mit neoliberaler Prägung sind. Die bisherige Entwicklungsfinanzierung und die Schuldenpolitik haben nur sehr wenig dazu beigetragen, die Armut dieser Menschen zu lindern: In den 80er- und 90er-Jahren finanzierten die Weltbank und die bilateralen Gläubiger – also einzelne Staaten – häufig zweifelhafte Projekte: Menschen wurden zwangsumgesiedelt, weil ihre Dörfer einem Stausee weichen mussten. Regenwald wurde abgeholzt, weil Öl-, Gas und Bergbauprojekte Vorrang hatten. Die Gewinner sind multinationale Unternehmen wie Shell, Elf Aquitane und Exxon, aber auch solche wie Petrobras aus Brasilien oder korrupte Politiker wie beispielsweise die in Kamerun. Auslandskredite dienten der Exportförderung und nicht – wie behauptet wurde – der Armutsbekämpfung.

Der Schuldenerlass kann also als eine doppelte Entschädigung für die Opfer der falschen Kreditpolitik verstanden werden: Entschädigt werden die Opfer von den Gläubigerländern durch eine konsequente Zusammenarbeit, die eine nachhaltige Entwicklung fördern soll. Entschädigt werden die Opfer aber auch von ihren eigenen Regierungen: durch eine Steigerung der Sozialausgaben.

Deshalb will die Kampagne „Erlassjahr 2000“ den Schuldenerlass an die Armutsbekämpfung knüpfen: Ein Vorschlag hierbei war die Einrichtung von Gegenwertfonds. Das Geld, das durch den Erlass frei wird, muss in einen solchen Fonds gezahlt und in bestimmte Programme investiert werden, etwa in den Bau von Schulen oder die Bezahlung von Ärzten auf dem Land.

Weiter geht allerdings der Vorschlag einer nationalen Strategie zur Bekämpfung der Armut: Die Schuldnerregierung muss sich verpflichten, einen Teil der erlassenen Schulden für einen Erhöhung der Sozialausgaben zu nutzen, also für das Gesundheitssystem oder die Alterssicherung.

Die Bedingungen dürfen aber nicht die Gläubiger alleine stellen, denn sie tragen eine Mitverantwortung für die Krise. Vielmehr sollten sie von Verbänden, Kirchen und basisnahen Gruppen in der Bevölkerung der Schuldnerländer definiert werden. Das stärkt auch die demokratischen Strukturen, die in vielen Ländern noch wenig gefestigt sind. In Bolivien beipielsweise erarbeiten regionale Foren die Grundlinien für eine Armutsbekämpfungsstrategie. Ende des Monats stellen sie diese der bolivianischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft vor, die die Beteilung der Bevölkerung unter dem Stichwort der „guten Regierungsführung“ fordert.

Für die „Verliererländer“ der Weltwirtschaft hilft auch die solideste Wirtschaftspolitik nichts, solange keine strukturellen Veränderungen eintreten – im Land selbst, aber auch auf internationaler Ebene: Die Regierungen müssen zu Hause ihre Finanzen in Ordnung bringen und vor allem offen legen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Weltweit müssen diese Länder aber bei den internationalen Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank und bei der Welthandelsorganisation größeres Gewicht erhalten. Denn solange die heutige Machtkonstellation aufrecht erhalten bleibt, hilft der Schuldenerlass auch nur wenig.

Der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Pedro Morazán (44) ist Honduraner und lebt seit Mitte der 80er-Jahre in Deutschland. Er arbeitet beim kirchlichen Entwicklungsverband Südwind und hat die Erlassjahrkampagne beraten.

Hinweis:

KEIN SCHULDENERLASS OHNE BEDINGUNG

Nur so werden die Armen doppelt entschädigt: durch die Gläubigerländer und durch ihre Regierungen