Bill Gates spielt auf Zeit

Schuldig. Microsoft halte einen „tyrannischen Daumen auf der Waage des Wettbewerbs“, entschied der Richter. Das bleibt nicht das letzte Wort

von MATTHIAS URBACH

Das Urteil von Bezirksrichter Thomas Penfield Jackson geht eindeutig zu Lasten von Microsoft. Doch ob es am Ende Bill Gates’ Monopol in die Schranken weisen kann, bleibt völlig offen. Gates spielt auf Zeit. Und die Zeit arbeitet für ihn.

Bereits 1990 hatte das Justizministerium die ersten Beschwerden über Microsofts Marktgebaren untersucht. Im Juli 1994 dann muss sich Microsoft auf Druck der Justiz erstmals verpflichten, Computerherstellern, die das Microsoft Windows vorinstallieren wollen, nicht zu verbieten, auch Software konkurrierender Firmen auf ihre Rechner zu laden.

Doch genau das tat Microsoft 1995 mit der Einführung seines Internetprogramms „Explorer“: PC-Hersteller sollten sich verpflichten, dieses Programm auf den Computer zu installieren, damit die Kunden nicht erst auf die Idee kämen, das Internetprogramm vom Konkurrenten Netscape zu benutzen. 1997 leitete schließlich das Justizministerium das jetzt entschiedene Verfahren ein.

Zwar fand Richter Jackson in seinem Urteil klare Worte: Microsoft habe „seinen tyrannischen Daumen auf der Waage des Wettbewerbs“ gehalten. Doch damit ist die Schlacht für Bill Gates noch nicht verloren. Es kann noch bis zum Sommer dauern, bis der Richter ein Strafmaß festsetzt. Und Gates hat bereits angekündigt, in die Berufung zu gehen.

Der Microsoft-Gründer kann außerdem darauf hoffen, dass das US-Justizministerium nach der Präsidentenwahl nicht mehr so hart an seinen Fersen klebt, falls George Bush ins Weiße Haus einzieht. Der hat bereits angekündigt, dass ihm Jacksons Auslegung des Kartellrechts zu weit gehe. Offenbar haben Gates Spenden an die Republikaner das dortige Verständnis für seine Situation gefördert.

All diese Zeit kann Gates nutzen, um weiter nach der bewährten Taktik „embrace, extend – and extinguish“ gegen die Konkurrenz vorzugehen, „umarmen, erweitern – auslöschen“. Und das geht so: Ein Softwareunternehmen entwickelt eine neue Anwendung. Im ersten Schritt bindet Gates dieses Programm in sein Windows-Betriebssystem ein, im zweiten Schritt ändert er es ein wenig, damit es mit der Ursprungssoftware nicht mehr ganz übereinstimmt. Oder er programmiert eine eigenes Konkurrenzprogramm, das er fest in Windows integriert. Dadurch greifen die meisten Computerkunden, die ohnehin Windows benutzen, zur veränderten Variante, weil das schlicht einfacher für sie ist. Andere Programme, die die Ursprungsversion benutzen, werden so vom Markt gedrängt. Ausgelöscht.

Wer glaubt, Microsoft zeige sich wegen des Prozesses derzeit von seiner zahmsten Seite, der irrt. Jüngstes Beispiel für diese Taktik ist das Passwordprogramm „Kerberos“, benannt nach dem dreiköpfigen Hund, der in der griechischen Mythologie das Tor zur Unterwelt bewachte. Dieses Programm verschlüsselt Passwörter in Computernetzen.

Kerberos ist Standard auf Computern, die das professionelle Betriebssystem Unix benutzen. Microsoft hat Kerberos zunächst übernommen und dann leicht verändert, sodass es nur noch mit Mühe vereinbar ist mit den Programmen, die den ursprünglichen Code nutzen. In einer Welt, in der neun von zehn Computern mit dem Bill-Gates-Betriebssystem laufen, schafft das einen Anreiz, alle Rechner in einem Netzwerk auf Windows umzustellen.

Auf ähnliche Weise hat Microsoft versucht, die auf Internetseiten gebräuchliche Java-Software in sein Windows-Imperium zu integrieren, wie nun auch Richter Jackson in seinem Urteil kritisiert. Doch Microsoft muss das nicht stören, solange das Urteil nicht rechtskräftig wird. Richter Jackson hatte bereits zu Beginn des Verfahrens im Dezember 1997 versucht, per einstweilige Anordnung Microsoft daran zu hindern, seinen Internet-Explorer jedem Windows-Kunden aufzuzwingen. Doch das Berufungsgericht sackte die Anordnung ein.

Und bei der rasanten Entwicklung auf dem Computermarkt kann sich viel ändern. Die nächste Innovation, die sich Gates unbedingt in sein Windows-Betriebssystem integrieren möchte, ist die Sprachsteuerung für Computer. Hier sind bislang Firmen wie IBM ganz vorn in der Entwicklung. Ihnen könnte ein ähnliches Schicksal mit ihren Programmen drohen wie Netscape mit seinem Internetprogramm.

Aus diesem Gründen hat Gates offenbar auch die bisherigen Vergleichsangebote des Justizministeriums abgelehnt. Nach Angaben von Verhandlungsinsidern waren sie von einer Zerschlagung von Microsoft weit entfernt und so weich formuliert, dass einige der 19 mitklagenden Bundesstaaten gegen das verhandelnde Justizministerium rebellierten: Microsoft sollte den Computerherstellern überlassen, welche Teile von Windows sie auf den zu verkaufenden Rechnern installieren sollten, und es sollte keine Exklusivverträge mehr geben, die Computerhändler etwa zwingen, ausschließlich Windows zu verwenden. Unabhängige Experten hatten Gates geraten, dieses Angebot anzunehmen. Aber er lehnte ab.

Gates’ Kommentar zu solchen Vorschlägen ist immer gleich: „Wir wollen frei entscheiden können, neue Dinge in Windows hineinzutun.“ Und das wird er noch eine ganze Weile tun können.