Die Grenzgänger

Altmeister Herbie Hancock und die Modern Jazzer Brian Blade Fellowship  ■ Von Andreas Schäfler

Wer jetzt wieder öfter einen Blick nach oben riskiert, wird belohnt. Über den Knospen der Bäume kreuzen dann und wann schon die Heißluftballons. Es will Frühling werden – und um die passende Begleitmusik braucht einem derzeit nicht bange zu sein: Mit Brian Blades Fellowship schafft eine neue Band frischen Sound herbei. Und mit Herbie Hancock gastiert ein Gentleman, der den Zieleinlauf seiner langen Karriere nach Belieben ausdehnt. Solchen Qualitäten begegnet man auf Jazz-Territorium eher selten – und siehe da, dem einen wie dem anderen Leader lacht bei allen unterschiedlichen Stilvorhaben die Gunst derselben Dame: sowohl auf Hancocks wie auf Blades letzter Platte sang Joni Mitchell mit.

Jenseits von nachwachsenden Instrumentalgenies und frühbegabten Neuauslegern der Tradition hat es lange kein Jazzmusiker mehr verstanden, eine erklärt zeitgenössische Stilistik zu etablieren. Immerhin begann in den 80er Jahren aus dem Nukleus von Paul Motians Bands die Gitarrenhandschrift um sich zu greifen. An der Schwelle zu benachbarten Gattungen wie Salsa oder auch Tango häuften sich zwar die absichtsvollen Grenzverletzungen, aber nur gerade Kip Hanrahan entwickelte darin eine Praxis, die tatsächlich Geländegewinne verbuchen konnte. Herbie Hancocks diesbezügliche Pionierarbeiten mit den Headhunters mögen lange zurückliegen, doch Jazz und Funk sind seitdem sehr eng miteinander verbunden. Und die Versöhnung zwischen der hohen Schule des Klavierspiels und den Errungenschaften der Unterhaltungselektronik ist zumindest auf einem gutem Weg.

Zuletzt knöpfte sich Hancock zwar wieder eine Musik vor, die ganz aus Ebenholz geschnitzt ist, aber auf Gershwin's World brennt die Luft dennoch. Und Brillanz sowohl im Repertoire als auch im Line-Up seines Sextetts (u.a. mit Terri Lyne Carrington und Eddie Henderson) ist auch im bevorstehenden Konzert garantiert. Für Joni Mitchells Mitwirkung bei der Ger-shwin-Hommage revanchierte sich Hancock übrigens auf ihrer neuen CD Both Sides Now – eine Verbindung, die mehr als 20 Jahre nach der Kollaboration für Mitchells Mingus-Platte wunderbar selbstverständlich wirkt.

Für Brian Blade, den noch nicht 30jährigen Mann unter Einfluss, ist aus dem früheren Idol Joni Mitchell inzwischen eine Mentorin geworden. Aber der gelernte Jazzer (Sideman u.a. bei Kenny Garrett und Joshua Redman) aus Louisiana hat seine Fühler auch anderweitig ausgestreckt und auf der neuen Platte Perceptual erneut Daniel Lanois an seiner Seite. Von der formalen Strenge eines Kip Hanrahan und von Motians/Frisells abgeklärtem Soundempfinden ist der komponierende Schlagzeuger und Patron seiner Fellowship ebenfalls nicht weit entfernt. Nach vorne aber strahlt, mit Selbstbewusstsien und Entschlossenheit, die eigene Verlautbarung – mit der so niemand gerechnet hat.

Hier ist es nicht mehr wichtig, wer im einzelnen für die famose Handhabung dieses und jenes Instruments oder für eine noch nie zuvor unternommene klangliche Ambition verantwortlich zeichnet – auch wenn sich Blades neuer Gitarrist Kurt Rosenwinkel schon in anderen Bands (u.a. wiederum bei Paul Motian) herumtrieb. Doch alle Einzel-Meriten wären vergebens, wenn nicht der Ensemble-Ton die Musik machte, nicht zwei Gitarren und zwei Saxofone in der Frontlinie rasiermesserscharf fusionierten. Niemand braucht sich mehr das Gehirn zu zermartern, ob diese Musik Jazz sei oder Folk-rock mit anderen Mitteln. Und natürlich ist es strengstens verboten, eine Pedal Steel Guitar dermaßen country-untypisch ins Spiel zu bringen. Doch was sich bei Brian Blade so und anders einstellt, ist jene gute alte Hellhörigkeit, die man im Jazz so lange vermisst hat.

Brian Blade Fellowship: Fr, 7. April, Birdland, 21 Uhr Herbie Hancock Sextett: Sa, 8. April, Musikhalle 20 Uhr