Überwachter Überwacher

Der enttarnte Verfassungsschutzagent Schachtschneider bewegte sich im Umfeld von sechs Abgeordneten der PDS. Darunter auch Gernot Klemm, der für die Demokratischen Sozialisten im Parlament den Verfassungsschutz kontrolliert

von ANDREAS SPANNBAUER

Der enttarnte V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz, Günter Schachtschneider, hat offenbar nicht nur einzelne Gruppierungen der PDS ausspioniert. Nach Angaben der Partei hat sich Schachtschneider im Umfeld von sechs Abgeordneten der Partei bewegt. Darunter war auch Gernot Klemm, der im Verfassungsschutzausschuss für die Kontrolle der Behörde sorgen soll.

„Normalerweise ist es meine Aufgabe, das Landesamt für Verfassungsschutz zu überwachen, nicht umgekehrt“, empörte sich Klemm gestern. Es sei nun klar, dass entgegen der Zusicherung von Innensenator Eckart Werthebach (CDU) nicht nur einzelne Gruppierungen der PDS im Visier des Geheimdienstes standen, sondern die gesamte Partei.

„Offensichtlich war der V-Mann auch auf Verantwortungsträger der PDS angesetzt“, sagte Klemm. So traf die Topquelle des Landesamtes für Verfassungsschutz im PDS-Büro Oderberger Straße in Prenzlauer Berg im Vorfeld der Bundestagswahlen 1998 mehrmals mit den Abgeordneten Marion Seelig und Bernd Holtfreter zusammen.

Besonders pikant ist dabei, dass Schachtschneider vor der Wende als Hauptmann der Hauptabteilung XX des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit tätig war. Genau diese Abteilung schikanierte vor 1989 eifrig die heutige PDS-Abgeordnete und frühere DDR-Oppositionelle Marion Seelig. „Ich wurde seit 1983 von der Hauptabteilung XX observiert“, sagte Seelig empört. Zu DDR-Zeiten hatte die betreffende Abteilung sie mehrmals willkürlich verhaftet. 1998 saß die Abgeordnete ohne ihr Wissen wieder einem ihrer ehemaligen Gegner gegenüber – bei Debatten zwischen der PDS und dem „Bund der Antifaschisten Prenzlauer Berg“, dem seit 1998 auch Schachtschneider angehörte.

In dieser Funktion hatte der Agent gleich zweimal Zugang zur Spitzenebene der Sozialisten. Die Gruppe traf sich im Wahlkreisbüro von Petra Pau, Zugang per Schlüssel inbegriffen. Auch der parlamentarische Geschäftsführer der PDS, Uwe Doering, machte die Bekanntschaft des V-Mannes. Doering ist stellvertretender Landesvorsitzender des BdA. Auf den landesweiten Koordinationstreffen tauchte Schachtschneider als Delegierter der Ortsgruppe Prenzlauer Berg auf. „Der hat sehr aktiv mitdiskutiert“, erinnert sich Doering. Als Mitglied eines antifaschistischen Aktionsbündnisses in Pankow hatte der V-Mann darüber hinaus Zutritt zum Wahlkreisbüro des PDS-Abgeordneten Klemm.

Innensenator Werthebach hatte in der Vergangenheit stets versichert, dass lediglich einzelne Gruppen der PDS mit nachrichtendienstlichen Mitteln observiert würden. Abgeordnete und Bezirksverordnete seien von den Maßnahmen nicht betroffen. Für die PDS ist die nachrichtendienstliche Beobachtung von Teilen der Partei spätestens jetzt „nichts weiter als ein Vorwand“ für die Bespitzelung der Gesamtpartei.

Die Innenverwaltung weist diesen Vorwurf scharf zurück. „Die Behauptungen der PDS stimmen nicht mit der Aktenlage überein“, sagte Werthebachs Sprecher Stefan Paris.

Noch mehr Fragen sind offen. So ist unklar, warum Schachtschneider ausgerechnet in den BdA eingeschleust wurde. Denn die Antifa-Gruppe ist nach Angaben des PDS-Abgeordneten Klemm in Berlin nicht Gegenstand der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Mitglieder des Verfassungsschutzausschusses wussten von der Observation der Gruppe nichts – für Klemm eine Verletzung der Kontrollfunktion des Ausschusses durch den Innensenator. Zudem habe Werthebach das Parlament „belogen“, als er am 9. Juni alle ehemaligen Stasi-Mitarbeiter für „abgeschaltet“ erklärte. Denn nur Tage zuvor hatte der Senator versucht, seine Quelle an andere Landesämter weiterzuvermitteln.

Die PDS-Fraktion hofft jetzt auf die vollständige Offenlegung der Akten. Außerdem hat die Fraktion einen Antrag eingereicht, in dem der generelle Verzicht Berlins auf einen administrativen Verfassungsschutz gefordert wird. Der Senat solle mit einer Initiative im Bundesrat die notwendigen juristischen Voraussetzungen dafür schaffen. Von der Eingliederung des Landesamtes in die Innenverwaltung verspricht sich die PDS dagegen nichts. Der Abgeordnete Steffen Zillich sagt: „Den Senator stören nicht die Skandale des Amtes, sondern ihr Bekanntwerden.“