Kunst ist nicht genug

Weil das Poetische politisch ist: Mit ihren Foto- und Videoarbeiten inszeniert die iranische Künstlerin Shirin Neshat in Wien die Spannungen zwischen Männern und Frauen im Islam

von BRIGITTE WERNEBURG

Gewöhnlich wird die gesellschaftliche Trennung von Schwarz und Weiß der westlichen Kolonialgeschichte zugerechnet und mit dem Ende der Apartheid für überwunden geglaubt. Und doch dauert sie dort höchst offiziell fort, wo dem westlichen Lebensstil zuletzt der größte Widerstand erwuchs. Hier bewegen sich nun die gänzlich in den schwarzen Tschador verhüllten Frauen vollkommen abgesondert von den Männern in den blütenweißen Hemden: Dies ist die noch immer existente Welt der Apartheid. Die Künstlerin Shirin Neshat geht ihr nach, in Foto- und schließlich Videoarbeiten, die sie mit gutem Grund stets parallel auf zwei Leinwände projiziert – wie jetzt in ihrer Werkschau in der Kunsthalle Wien.

Mit 17 Jahren, vier Jahre vor der islamischen Revolution 1979, verließ die Tochter eines Arztes den Iran, um in Kalifornien Kunst zu studieren. Erst 1990 kehrte sie für einen Familienbesuch in ihr völlig verändertes Heimatland zurück. Der Schock über die radikalen Veränderungen bewog sie, ihre lange daniederliegende künstlerische Arbeit wieder aufzunehmen. Ohne sogleich in Frontstellung zum Islam zu gehen, sah sie auch hier eine Geschichte der Kolonialisierung. Denn die neue islamische Kultur der Ajatollahs negierte in ihren Augen persische Geschichte und persische Kultur, die sehr viel weniger rigide, dafür aber poetischer und musischer seien als die muslimische.

Im ersten Anlauf schrieb Shirin Neshat daher dem Bild des Islam diese persische Tradition zunächst einmal ganz konkret wieder ein. In der zwischen 1993 und 1997 entstandenen Fotoserie von Selbstporträts, „Women of Allah“, bemalte sie die vom Tschador unbedeckten Stellen des Körpers der Frau mit ornamentaler Kalligrafie. Nun standen Farsi-Poeme berühmter persischer Dichterinnen in Gesicht, Auge, Hand oder Fußsohle zu lesen. Doch nicht nur mit Worten, sondern mit Gewehren und Blumen schmückte sie die „Women of Allah“ und zelebrierte in dieser frühen Arbeit am eigenen Körper Militanz und Schönheit zugleich.

Die Ambivalenz, mit der Shirin Neshat dem Tschador begegnet, ist sichtbar. Der Ganzkörperschleier schien ihr im revolutionären und nachrevolutionären Iran nicht in jedem Fall nur Gefängnis zu sein, er bot den Frauen auch Schutz bei der Eroberung neuer Freiheiten. Er machte sie zu Kriegerinnen in der „Armee Gottes“, und er ermöglichte allen den Auftritt in der Öffentlichkeit, unabhängig von der Klasse; freilich nur unter der Bedingung, ein unförmiger, laufender schwarzer Sack zu sein. Und da musste wiederum eine Tulpe, die die verschleierte Frau an den Gewehrlauf drückt, zum Streitschwert werden. Die Künstlerin zückt es für die Schönheit des Menschen, die im nichtfundamentalistischen Islam, wie in anderen Kulturen auch, die Schönheit seiner Gestalt ist.

Wie stark die Gestalt des Menschen in der Kunst und der Architektur des Islam präsent ist, wird auch als faszinierender Nebenaspekt von „Rapture“ (1999) deutlich, einer der drei Videoarbeiten, die in Wien erstmals als gerade fertig gestellte Filmtrilogie im Zusammenhang gezeigt werden. „Rapture“ spielt sich auf zwei im dunklen Raum gegenübergestellten Leinwänden ab. Auf der einen Bildfläche sieht man eine Gruppe Männer, die singend in eine Befestigungsanlage eindringen und mit Leitern die Mauern erklimmen. Von der Brüstung schauen sie dann auf eine andere Gruppe von Männern hinab, die in verschiedenen Kreisformationen mit rituellen Kämpfen, Waschungen und Gebeten beschäftigt sind. Währenddessen taucht auf der anderen Bildfläche in einer Wüstenebene eine große Gruppe von Frauen im schwarzen Tschador auf. Die Frauen beginnen zu wehklagen und bringen die Männer dazu, in ihren Ritualen innezuhalten und ihnen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Schließlich gehen die Frauen ans Meer, wo sie mit großer Anstrengung ein Boot ins Wasser stoßen, in dem dann ein Teil von ihnen aufs Meer hinaus fährt. Währenddessen sehen ihnen die Männer zu und winken ihnen schließlich zum Abschied nach.

Hier, im Schnitt der Kamera vom Meer auf die Festung im Gegenlicht, scheinen nun die aneinander gereihten Männer selbst zu deren Zinnen zu werden. Und wenn sie winken, glaubt man in dieser Geste ein ornamentales, abstrahiertes Torbogenmuster zu erkennen, wie man es auf persischen Schals und Tüchern gesehen hat. Aber in dieser Anverwandlung des männlichen Körpers in die herrschaftliche Architektur verwandelt sich der Triumph der symbolischen Ordnung in eine Niederlage. Während die schöne Gestalt des Menschen, die die Kunst beeinflusst und die Rituale prägt, die Gestalt des Mannes im weißen Hemd und der dunklen Hose ist, ist sie zugleich die Gestalt, die gefangen ist und die kommenden Dinge kaum gestalten wird. Die schwarzen Frauen aber, die wie Krähen am Wasser auftauchen, brechen zu neuen Ufern auf. Mit welchem Erfolg, bleibt allerdings bei Ende des Films offen.

„Rapture“ (Verzückung) ist dreizehn Minuten lang und wurde wie auch die beiden anderen Videoarbeiten von der Künstlerin mit großem professionellem Aufwand gedreht. Da sie im Iran nicht filmen kann, erhielt sie die Dreherlaubnis für „Rapture“ schließlich in Marokko, wo sie hunderte von Statisten zusammentrommelte. Zu ihrem festen Team gehören mittlerweile der Kameramann Ghasem Ebrahimian, der Produzent Hamid Fardjad, der Cutter Bill Buckendorf und der Still-Fotograf Larry Barns. Von ihm stammen auch die großen Schwarzweißabzüge, die an den Verbindungswänden zwischen den drei Projektionsräumen hängen. Zwei besonders enge Arbeitspartner sind die in New York lebende Avantgarde-Musikerin Sussan Deyhim, die Komponistin aller Filmmusik von Shirin Neshat, und der ebenfalls nach New York emigrierte Filmemacher Shoja Y. Azari, Neshats Lebensgefährte, mit dem sie ihre Drehbücher entwickelt.

Beide, Sussan Deyhim und Shoja Y. Azari, spielen denn auch die Hauptrollen im zehnminütigen Video „Turbulent“ (1998). Auch hier sind zwei Leinwände einander gegenübergestellt. Auf der männlichen Seite betritt zunächst ein Sänger die Konzertbühne. Sein Publikum begrüßt ihn mit herzlichen Applaus, doch wenn er zu singen beginnt, kehrt er ihm den Rücken zu und trägt zur Kamera gewandt ein altes Sufi-Liebeslied vor. Der Text stammt von dem persischen Mystiker Jalal al-Din Rumi. Auf der anderen, der weiblichen Seite steht derweil wartend und lauschend eine schwarz verhüllte Frau auf der Bühne, vor ihr ein leerer Zuschauerraum. Als der Sänger geendet hat, beginnt sie mit ihrem Lied. Während die Kamera den Mann starr aus einer Position aufnahm, umkreist sie nun die Sängerin. Ganz offensichtlich, auch ohne dass man die Worte des Mannes verstand, ist ihr Lied von ganz anderer Art als das seine. Es ist ein wilder, persönlicher Gesang, ein kehliges, gutturales Brummen, eine Flut von Tönen und Lauten, ein Flüstern oder ein Schreien. Wo er mit seinem Gesang auf die Autorität der Tradition setzt, verkörpert ihre Stimme die glanz-, aber auch schmerzvolle Wucht des vereinzelten und illegitimen Auf-/Begehrens.

„Separate, but equal“, der alte Slogan aller Segregation, wird in diesen Videos Lügen gestraft. Ausgerechnet aber im resignativsten und melancholischsten Teil von Shirin Neshats Trilogie, bewahrheitet sich die Devise. Das lässt sich schon an der Anordnung der Leinwände erkennen, noch bevor man um die Geschichte von „Fevor“ (2000) weiß: Nun werden sie nicht mehr miteinander konfrontiert, sondern stehen brav nebeneinander. In „Fevor“ (Glut) genügt ein Blick, den ein Mann und eine Frau wechseln, die sich auf einer Landstraße begegnen, um zwischen ihnen eine große erotische Spannung auszulösen. Wenig später treffen sie sich bei einer öffentlichen Feier wieder. Männer und Frauen, durch einen schwarzen Vorhang getrennt, hören einem bärtigen Mann zu, der mit Hilfe einer Bildtafel die schauerliche Geschichte von Suleika erzählt, die für Jussuf entflammte und ihn zu verführen versuchte. Der Vortragende ereifert sich zusehends über den Satan Suleika und fordert die Zuhörer zu Sprechchören wider die Kräfte des Bösen auf. In diesem Lärm verwandelt sich die bescheidene Zuneigung des Mannes und der Frau in tiefe Beklemmung, Verwirrung und das Gefühl der Schuld. Schließlich läuft die Frau davon, und als sich die beiden danach in der Stadt begegnen, würdigen sie sich keines Blickes mehr: Die Tabus im Bereich der Sexualität und Liebe beschämen in islamischen Gesellschaften Frauen und Männern gleichermaßen.

Es sind einfache Geschichten, und wie Shirin Neshat sagt, auch reale Geschichten, die sie stilisiert und überhöht, um sie in der filmischen Form einem möglichst breiten Publikum nahe zu bringen. Kunst, so hört man heraus, ist nicht genug. Daher benutzt Shirin Neshat Fotografie und Video und hinterfragt sie nicht. Zunächst war die Fotografie ihr Medium, weil sie ihr das richtige Gefühl von Wirklichkeit bot. Später entdeckte sie die narrativen und unterhaltenden Züge des Films, seine starke Verbindung zur Alltagskultur und damit zu dem von ihr anvisierten breiten Publikum. Doch wenn Kunst nicht genug ist, an die Botschaft möchte Neshat sie nicht verraten. Die Videoarbeit erlaubt ihr, ihre besondere SozArt, ihre soziologisch grundierte Kunst weniger ins Politische als ins Poetische zutreiben. Ihr eigentliches Medium ist dabei der Raum und seine vorgegebene reale wie seine filmisch hergestellte Architektur. In der Choreografie ihrer Protagonisten und ihrer Kamera im Raum erreicht die zweiteilige, dialogische Anlage ihrer Arbeiten, deren Positiv-negativ-Struktur manchmal gefährlich eingängig erscheint, tatsächlich eine Präzision, die die schlichten Ausdrucksmittel der Künstlerin transzendiert.

Bis 4. 6., Kunsthalle Wien, der Katalog kostet 17,45 Euro