„Gleich die Rübe abgehackt“

Die tschetschenischen Rebellen gehen mit ihren russischen Gefangenen überaus grausam um

MOSKAU taz ■ Als kürzlich der tschetschenische Terrorist Salman Radujew gefangen genommen wurde, zeigte der russische Fernsehsender NTV ein politisches Porträt dieses Mannes. Auf die Frage, wie sie mit ihren Gefangenen umsprängen, antwortete einer von Radujews Gefolgsleuten: „Nach unserem Glauben kann ein Kämpfer, der einen Ungläubigen gefangen hat, alles mit ihm machen, was er will. Er kann ihn töten, für sich arbeiten lassen oder auch verkaufen.“ Und auf die Frage, wonach denn der Preis bestimmt würde, grinste der Mann: „Nach Gewicht.“

Videoaufzeichnungen, die zeigen, wie tschetschenische Kämpfer russische Soldaten enthaupten, schüren neuerdings das Interesse des Westens an der Frage nach dem Ergehen der russischen Gefangenen. Solche Aufnahmen sind für Russland nichts Neues, sie werden – mit Rücksicht auf nervenschwache Zuschauer – im Fernsehen meist nicht ganz bis zu Ende gezeigt.

In der Tageszeitung Moskowski Komsomoljez berichten ehemalige Gefangene die Worte eines tschetschenischen Feldkommandeurs: „Ihr habt Glück, dass ihr keine Kontraktniki (Berufssoldaten) seid, sonst hätten wir euch gleich die Rübe abgehackt.“ Die Kontraktniki gelten als die schlimmsten Vergewaltiger und Marodeure auf russischer Seite.

Der anfangs zitierte Radujew-Gefolgsmann hat also in einer Hinsicht nicht übertrieben: ebenso wie den tschetschenischen Terroristen ihre Geiseln gelten den Feldkommandeuren ihre Gefangenen nur noch als Ware. Was aber den Preis der Gefangenen betrifft, so gelten komplizierte Gesetze: Es gibt von vornherein teure und von vornherein billige, je nachdem wie die Zahlungsbereitschaft der Gegenseite eingeschätzt wird. Ganz billige werden zu Arbeitssklaven gemacht und liquidiert, falls sie sich beim Ortswechsel als Hindernis erweisen.

Die Ernährung ist miserabel, Schläge sind an der Tagesordnung, und beides hängt oft nur davon ab, wie stark die Wachmannschaften gerade unter Drogen stehen. Wer sich auflehnt, wird brutal gefoltert oder verliert in der Regel vor dem Kopf noch einige andere Gliedmaßen. Bei den Kriegsgefangenen kompliziert sich das Bild dadurch, dass auch die russische Seite über tschetschenische Gefangene verfügt und die Feldkommandeure an deren Austausch interessiert sind.

Die demokratische russische Presse schildert die von Tschetschenen an russischen Gefangenen verübten Grausamkeiten ohne Emotionen. Wer in diesem Krieg anzuklagen beginnt, verstrickt sich allzubald in Schuldzuweisungen. Der Tschetschene ist nicht nur des Russen Wolf, auch der Russe ist des Tschetschenen Wolf, und sogar der Russe des Russen. Auch in den Jahren zwischen den Kriegen gerieten dutzende von russischen Soldaten von Dagestan und den Grenzregionen aus in tschetschenische Geiselhaft. Sie waren von Kameraden und Vorgesetzten verkauft und in Fallen gelockt worden.

BARBARA KERNECK