Paris spielt Tour de France

Die Franzosen lieben die autofreien Tage, 75 Prozent Zuspruch für die Aktion 1999. Jeden Sonntag radelt und flaniert tout Paris oder fährt mit der Metro

Jeden Sonntag zwischen 9 und 17.30 Uhr begibt sich halb Paris auf die Tour de France. Für die Jours du Velo, die seit fünf Jahren von März bis September stattfinden, sperrt die Stadtverwaltung nicht nur ganze Arrondissements (Bezirke), sondern verwandelt die Stadt in ein autofreies Netz von Fuss- und Fahrradwegen. Auf den Uferstraßen entlang der Seine strampeln die Amateure, als wollten sie den Profis der Tour nacheifern, die dort im Juli ihre letzte Etappe fahren.

Die Sonntagsrouten ziehen sich entlang des Boulevard Bourdon hinauf bis zum Canal St. Martin nahe dem Gare de L’Est. Hier mischen sich die Radler mit den Flaneuren, die vom Marais bis nach La Villette spazieren. Man trinkt einen Café im berühmten Hôtel du Nord und kurvt um die geparkten Autos wieder auf die Straße. Es ist, als halte die sonst so geschäftige Stadt sonntags dort den Atem an, beschrieb eine Reisende einmal die Ruhe auf den Boulevards.

Die Fahrradtage verbucht das Pariser Rathaus als vollen Erfolg. Je nach Wetterlage tummeln sich zwischen 200.000 und einer halbe Million Menschen per Velo oder per pedes auf den gesperrten Straßen. Die Bahnhöfe bieten Touristen aus der Provinz Leihräder an, teils erlauben die Metros deren Transport. Wegweiser mit speziellen Informationen zur Stadtgeschichte leiten die Radler durchs Quartier. „Die Jours du Velo bilden ein Angebot an die Städter, das Auto in der Garage zu lassen“, betont Anita Gandon von der Französischen Botschaft. Darüber hinaus seien die Straßen entlang der Kanäle ein begehrtes Ziel für Sonntagsausflüge.

Die Stadtverwaltung wirbt mit Millionenaufwand

Dass PariserInnen Tage ohne Autos kein Graus sind, bewies auch die Aktion „En ville, sans ma voiture“ (Ohne Auto durch die Stadt), die sich am 22. September 2000 zum dritten Mal jährt. Jean Tiberi, Bürgermeister von Paris, stilisiert in seiner Bilanz den autofreien Arbeitstag am 22. 9. 1999 nicht nur als gelungene Strategie, die dazu beigetragen habe, den Autoverkehr in der Hauptstadt seit 1995 insgesamt um 2 Prozent zu verringern. Eine Umfrage habe gezeigt, dass „mehr als 75 Prozent der Pariser mit dem autofreien Tag einverstanden und zufrieden waren“.

Zu Recht. Mit einem Millionenaufwand hat die Stadtverwaltung 1999 den Automobilisten das Leben erleichtert. 200.000 Briefe mit Informationen zu den gänzlich gesperrten 8 zentralen Bezirken, Nachrichten im Internet und den öffentlichen Reklametafeln zu Fahrzeiten der kostenlosen Metro und der S-Bahnen sowie Infos in den großen Kaufhäusern dienten den Autonarren zur Orientierung.

Paris fuhr, aber nicht privat. Während sich der Verkehr an der Peripherie nur zwischen 4 und 10 Prozent verringerte, sackte er im Stadtzentrum um bis zu 60 Prozent ab. Demgegenüber, so Tiberi, sei eine Zunahme des Fußgängeraufkommens um bis zu 50 Prozent und der Velos um bis zu 190 Prozent zu verzeichnen gewesen. „Das Zentrum von Paris war wie zu historischen Zeiten erlebbar“, triumphierte Tiberi – oder eine ganze Stadt spielt Tour de France. ROLF LAUTENSCHLÄGER