Hanfsamen in Heimaterde

Der Bundestag hat abgestimmt: Hans Haackes umstrittenes Projekt „Der Bevölkerung“ wird nun als Kunstwerk im Reichstag installiert

Es gibt offenbar 549 Bundestagsabgeordnete, die sich für Kunst interessieren. Das ist bei insgesamt 669 Parlamentariern eine enorme Zahl: Als am Mittwoch eine Stunde zuvor noch über den Antrag der Grünen zur „Unterstützung des Stabilitätspakts Südosteuropa“ abgestimmt wurde, waren nicht einmal halb so viele Abgeordnete im Plenarsaal anwesend, um die Zukunft der Kosovo-Flüchtlinge zu diskutieren. Dass sich so viele Politikerinnen und Politiker mit Kunst beschäftigen, liegt allerdings auch daran, dass sie am Mittwochabend entscheiden durften, ob Hans Haacke sein „Bevölkerung“-Projekt im Reichstag realisieren kann. Und siehe da: Er wird. Zwar haben 258 Bundestagsabgeordnete seinen Entwurf abgelehnt, Erde in einem Beet mit der Neoninschrift „Der Bevölkerung“ zu installieren. Aber dann haben sie doch um zwei Stimmen gegen 260 Abgeordnete verloren, die sich entweder auf das Haacke-Beet freuen oder aber der Meinung waren, dass man nicht darüber abstimmen kann, was gute, gelungene oder überhaupt Kunst ist – und deshalb dafür votiert haben, dass man nicht gegen ein Kunstwerk stimmen darf. Zuletzt gab es noch 31 Enthaltungen – wohl auch als Zeichen einer entschiedenen Nichtentscheidung in künstlerischen Fragen.

Mit einem dermaßen knappen Ergebnis hatte indes kaum jemand gerechnet. Zumindest nicht die Befürworter des Projekts. Tatsächlich sah es während der einstündigen Debatte aus, als würde Haacke abgeschmettert werden. Der Block der CDU/CSU-Fraktion war offensichtlich ganz fest entschlossen, sich nicht von einem Künstler „lächerlich“ machen zu lassen, wie ihr kulturpolitischer Sprecher Norbert Lammert gleich zu Beginn klarstellte. Und dafür gewaltigen Applaus bekam.

Da nützte es wenig, dass nach ihm der freundliche SPD-Vertreter im Kunstbeirat, Gert Weisskirchen, den Philosophen Hans-Georg Gadamer mit seiner Idee von Kunst als „Zumutung“ zitierte. Denn Lammert hatte mit einiger Empörung erklärt, er brauche „von niemandem Nachhilfeunterricht“, wenn es darum geht, per Kunstwerk zu zeigen, dass das Grundgesetz eben nicht nur für das deutsche Volk gilt, sondern auch für die Bevölkerung, die hierzulande lebt.

Vor allem diese symbolische Umwidmung, die Haacke mit seiner Arbeit vorschlägt, kam denn auch bei einigen PolitikerInnen sehr schlecht an. Antje Vollmer sprach von „Gesinungs-TÜV“, mit dem die Abgeordneten per Kunstwerk „genötigt“ werden sollen. Dafür durfte sich die Bundestagsvizepräsidentin der Grünen von der CDU/CSU beklatschen lassen, wo doch sonst die Fronten ein wenig anders verlaufen. Auch die SPD-Politikerin Hanna Wolf sagte verärgert, dass sie den „revolutionären Begriff“ des Volkes, für den ja schließlich die Bürgerrechtler im Osten 1989 auf die Straße gegangen waren, nicht von einem Künstler „begraben sehen“ will.

Wahrscheinlich darf sich Hans Haacke dennoch für seinen Erfolg am Ende ausgerechnet bei der CDU/CSU bedanken. Ohne die beiden Reden von Rita Süssmuth und ihrem Parteikollegen Volker Kauder wäre seine Arbeit vermutlich doch als seltsame Mischung aus Mitmach-Happening für Politiker und zäher Geschichtsstunde abgekanzelt worden. Zu Unrecht. Denn Süssmuth machte noch einmal deutlich, wie wichtig gerade die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung ist für eine Integrationspolitik, die über nationale Interessen hinausreicht. Im Gegenzug brauchte sie nur zu erzählen, wie viele Briefe sie täglich von Bundesbürgern bekommt, die sich darüber aufregen, dass Haacke auch „Gelbe oder Türken“ meint,wenn er an Deutschland denkt.

Und genau dieses rassistische Stereotyp kam dann plötzlich bei Kauder zum Vorschein, der hysterisch schwäbelnd über Haacke meinte, er wolle nur provozieren und mit „seiner Agitation“ das deutsche Volk beleidigen. Als Kauder auch noch davon zu reden anfing, dass „wir Deutschen“ endlich wie Franzosen und Engländer zu „unserer Nation“ stehen sollten, war klar: Das Ding wird gebaut. Als Zeichen gegen Kauder und Co. Als Zeichen gegen eine Politik, die mit Slogans von „Kindern statt Indern“ Wahlkampf macht.

Oder vielleicht doch eher in der Art, wie sich Franziska Eichstädt-Bohlig von den Grünen das Projekt „Der Bevölkerung“ vorstellt? Sie hatte nämlich kurz vorher erklärt, dass gerade die jungen Kollegen in ihrer Partei kein Problem mit der Heimaterde haben: „Die bringen dann Sonnenblumen- und Hanfsamen mit“, damit das Haacke-Beet schön zuwächst. Kein schlechter Gedanke – Cannabis im Bundestag. Aus ästhetischen Gründen. Das hätte auch Joseph Beuys gefallen. Und Wolfgang Neuss. HARALD FRICKE

Hinweis:Im Grunde darf sich Hans Haacke für seinen Erfolg ausgerechnet bei der CDU/CSU-Fraktion bedanken