Boykott ist schlecht fürs Geschäft

Die zweigleisige Strategie der EU gegenüber Österreich wird zunehmend zum Problem: Ohne Österreich kommen Reformen nicht in Gang

aus BrüsselDANIELA WEINGÄRTNER

Ja, da schau her: Die Europäische Union hat ein Event – in Wien! Mit großem Bahnhof wird heute ein Außenbüro der EU-Kommission eröffnet. Gegenstand und Gästeliste der Veranstaltung lassen aber vermuten, dass die Österreicher auf die Ehre ganz gern verzichtet hätten.

Tatsächlich war auch von EU-Seite überlegt worden, ob die „Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ (EUMC) angesichts des angespannten Verhältnisses zwischen der Alpenrepublik und den 14 anderen EU-Mitgliedern nicht lieber anderswo residieren solle. Am Ende aber kamen die Verantwortlichen zu dem Schluss, sie sei nirgends besser aufgehoben als in einer Stadt, in der wegen der Beteiligung der rechtspopulistischen FPÖ von Jorg Haider derzeit – sozusagen – Feldstudien getrieben werden können.

Was nun die Form der Zeremonie betrifft, so gab es im Vorfeld wieder die Art von peinlichen Ankündigungen, die seit dem Machtwechsel in Wien für EU-Veranstaltungen typisch sind. Mitte März erklärte die EUMC-Leiterin Beate Winkler dem Wiener Standard, die Gästeliste sei geändert worden. Die Einladung an den Bundeskanzler gelte nicht mehr. Man habe sich entschlossen, das Konzept zu ändern und nur die Staatsoberhäupter der15 Mitgliedsstaaten zur Feier zu bitten.

Bundespräsident Thomas Klestil also darf kommen, Kanzler Wolfgang Schüssel muss zu Hause bleiben. Dabei hatte das EU-Büro in seiner Gründungsphase vor eineinhalb Jahren sogar provisorisch im Wiener Kanzleramt residiert. Der Gastgeber hieß Viktor Klima, der Mann an seiner Seite: der damalige Außenminister Wolfgang Schüssel.

Europäische Protokollbeamte geraten wohl derzeit bei der Vorbereitung größerer EU-Ereignisse ähnlich ins Schwitzen wie früher ihre BRD-Kollegen, wenn sich Honecker angesagt hatte. Damals ging es darum, keinesfalls die Eigenstaatlichkeit der DDR zu zelebrieren, aber doch den Gast von drüben höflich zu begrüßen. Heute soll dafür gesorgt werden, die Regierung aus Freiheitlichen und ÖVP zu demütigen und gleichzeitig mit ihren Vertretern die EU-Geschäfte voranzubringen.

FDP-Chef Wolfgang Gerhardt, der Anfang der Woche als erster deutscher Parteivorsitzender Mitglieder der neuen österreichischen Regierung besuchte, hat prophezeit, dass die EU-Länder den diplomatischen Eiertanz nicht lange durchhalten werden. Erste Signale für eine Trendwende sind unverkennbar: Dänemark und Finnland haben sich unwirsch über die fortdauernde Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines EU-Mitglieds geäußert. Die Europäische Volkspartei (EVP), die eigentlich in ihrer gestrigen Sitzung über einen zeitweiligen Ausschluss ihrer österreichischen Mitglieder entscheiden wollte, hat diese Abstimmung vertagt – auf irgendwann nach dem Lissabon-Gipfel im Juni. Daraus spricht deutlich die Hoffnung, dass die Boykott-Kampagne bis dahin im Sande verlaufen sein möge. Die ÖVP von Kanzler Schüssel indes kam einer solchen Abstimmung zuvor: Sie hat gestern ihre Mitgliedschaft in der EVP „freiwillig“ ausgesetzt.

Tatsächlich wird die zweigleisige Strategie gegenüber Österreich zunehmend zu einem Problem für das europäische Tagesgeschäft. „Küsschen für Ferrero – Schüssel steht beim Familienfoto am rechten Rand“ – die Substanz europäischer Begegnungen tritt angesichts solcher Schlagzeilen in den Hintergrund. Das war beim inhaltlich schwachen Lissaboner Beschäftigungsgipfel nicht weiter schlimm. Für die Aufgaben der kommenden Monate könnte es sich als fatal erweisen.

Jacques Chirac, der zum 1. Juli 2000 den Vorsitz im EU-Ministerrat übernimmt, fragt sich sicher jetzt schon, ob er die Geister, die er rief, noch los wird. Gerade er, der als Vorkämpfer an der Anti-Haider-Front in die Geschichte eingehen will, kann nicht die diplomatischen Beziehungen zur Alpenrepublik wiederbeleben. Gleichzeitig ist sein Ehrgeiz, beim Dezember-Gipfel in Nizza den Abschluss der EU-Reform als französischen Erfolg zu verbuchen, ein offenes Geheimnis. Ein gedemütigtes und ausgebremstes Österreich aber wird diesem Projekt demnächst die Loyalität aufkündigen. Ohne Österreichs Stimme kann die Regierungskonferenz nicht abgeschlossen werden. Damit wäre die Erweiterung der EU auf Jahre hinaus blockiert, die Arbeit der Kommission Prodi gescheitert.

Ende 2002, so die Planung der EU, soll die Reform in allen Mitgliedsstaaten die nationalen Parlamente passiert haben. Deutschland hat dann gerade gewählt. Sollte Jürgen Rüttgers Kanzler werden, werden die anderen EU-Staaten ihre Beziehungen zur neuen deutschen Regierung leider auf Eis legen müssen – streng bilateral, versteht sich. Denn Jürgen Rüttgers hat mit „Kinder statt Inder“ die politische Debatte in Deutschland „auf einen neuen Tiefpunkt“ gebracht – sagte der Verwaltungsratsvorsitzende der EU-Stelle zur Beobachtung von Rassismus, Jean Kahn, vorgestern in Wien. Gelegenheit zu Feldstudien gibt es halt nicht nur in der Alpenrepublik. Jenseits der Berge, damit dürfen sich die gebeutelten Boykottopfer trösten, sitzen vielleicht die EU-Parias von morgen.