Amazing Grace

Als US-Präsident Lyndon B. Johnson Mitte der Sechzigerjahre den Krieg in Vietnam mit der Entsendung von Bodentruppen verstärkte, traf er innenpolitisch auf eine Friedens- und Bürgerrechtsbewegung, die gegen das militärische Engagement in Südostasien umstandslos zu opponieren begann.

Bereits ein Jahrzehnt zuvor begann in den USA das, was hierzulande als Achtundsechzigerbewegung verstanden wird. Es war eine Bewegung, die politisch zunächst Kritik an der Atomdrohungspolitik der USA (Stichwort: Hiroshima) übte, zudem sich den Kampf der Afroamerikaner gegen Rassismus zu Eigen machte und darüber hinaus alles zu kritisieren begann, was als Symbol des braven Amerika galt.

Vietnam war das Codewort für Ledernackenlust, für eine Politik des Kalten Krieges und des Imperialismus. Der Name des Landes, mehrere tausend Meilen entfernt von den USA, war das Synonym für eine Lebensweise, mit der die Protest- und Hippiegeneration nichts zu tun haben wollte. Stattdessen wurden Love & Peace gepredigt, am populärsten im August 1969 beim Musikfestival von Woodstock.

Die erste Kritik aus dem liberalen Establishment an der Vietnamkriegspolitik wandte sich nicht gegen das Mittel des Kriegs selbst, sondern gegen die Sinnlosigkeit, gerade in Südostasien ein Exempel wider den Kommunismus statuieren zu wollen. Darüber hinaus warnten Pentagonmitarbeiter davor, es sich mit einer ganzen Generation Amerikas, der kommenden Elite des Landes, von denen viele sich nicht scheuten, Einberufungsbescheide illegal öffentlich zu verbrennen, anzulegen.

Die Friedensbewegung wurde durch zwei Länder stillschweigend unterstützt: Kanada und Schweden gaben Kriegsdienstverweigerern Asyl. Schrifsteller, die sich mit dem vietnamesischen Volk solidarisierten (Norman Mailer), mussten mit Knast büßen. Der Schwergewichtsboxer Muhammad Ali riskierte gar die Aberkennung seines Weltmeistertitels. In den USA selbst standen – vor allem christlich geprägte – SängerInnen wie Joan Baez, Peter, Paul & Mary, Bob Dylan und Woody Guthrie für den Protest eines ganzen Jahrzehnts. Ihre Hymne: Amazing Grace („Erstaunliche Gnade“).

Trotzdem genoss die Friedensbewegung bei den GIs in Vietnam und beim US-Wahlvolk (das 1969 den Kriegsbefürworter Richard Nixon zur Präsidentschaft verhalf) keinen guten Ruf: Mehr noch als das Töten im Dschungel hassten sie die Kriegsgegner, die sie als unpatriotisch und drückebergerisch wahrnahmen.

Der amerikanische Philosoph Richard Rorty, der die auf Lebensstile und Pazifismus fixierte Politik der Woodstockgeneration als sektiererisch kritisierte, attestierte den Love-&-Peace-Jüngern das Verdienst, zum Ende des Vietnamkrieges beigetragen zu haben. JAN FEDDERSEN