Dschungelkrieg ohne Militärzensur

Es waren in erster Linie die Medien der USA, die seit Mitte der Sechzigerjahre eine Antikriegsstimmung im Lande beförderten. Möglich war dies, weil Zeitungen und TV-Stationen frei aus Südostasien berichten konnten. Militärs aus aller Welt haben aus dieser demokratischen Freizügigkeit Konsequenzen gezogen
von STEFFEN GRIMBERG

Der Einmarsch auf Grenada am 25. Oktober 1983 – eine Militärjunta hatte in dem marxistischen Karibikparadies den Premierminister nebst einen Großteil der amtierenden Regierung ermordet, und US-Präsident Ronald Reagan entsprach nur zu gern Bitten der Nachbarstaaten um Intervention – bedeutete eine radikale Wendung in der Berichterstattung über bewaffnete Konflikte unter Beteiligung westlicher Weltmächte. Die „Operation Urgent Fury“ fand de facto unter Ausschluss der Medien statt, Journalisten, die in gecharterten Booten Kurs auf die karibische Insel nahmen, wurden aufgebracht und interniert.

Nur eine Gruppe von fünfzehn Pressevertretern flog die US-Army am letzten Tag des Kleinkriegs zum Ort des Geschehens; die Delegation sollte stellvertretend für alle anderen berichten dürfen: Die Poolidee war geboren. Die britische Seite hatte ihre Hausaufgaben bereits zwei Jahre zuvor im Falklandkrieg gemacht: Auch hier half die Insellage am anderen Ende der Welt, den Zugang der Medien zum „Theatre of War“ zu kontrollieren. Wer sich nicht an die offizielle Linie der Berichterstattung hielt, fand sich in London vor dem High Court wieder, selbst die BBC musste sich unter dem hurrapatriotischen Regime der Regierung Thatcher gegen den „Verdacht auf Hochverrat“ rechtfertigen: Die Lektion von Vietnam war gelernt.

„Wenn sich altgediente Kriegsberichterstatter in einer Bar versammeln, verdrücken sie eine stille Träne wegen der längst vergangenen Tage von Vietnam, der Tage, an denen sie alle Helden waren, berühmt und wichtig“, schrieb dieser Tage Philip Knightley, dessen Buch „First Casualty“ zu den besten Studien der Beziehung von Krieg und Medien gehört, im Guardian. Damals, Mitte der Sechzigerjahre, waren die Journalisten Teil des US-Feldzugs, vom Militär akzeptiert und unterstützt, verpflegt und transportiert. Die Reporter konnten sich frei im Operationsgebiet bewegen, sie schrieben auf und filmten, was sie sahen, und, so Knightley, trugen so dazu bei, den Krieg zu verlieren.

Dabei hatte der Beginn der Operationen noch vertraut gewirkt: Schulterschluss zwischen our boys und den Reportern wie im Zweiten Weltkrieg. Erst lange nach Beginn des Bodenkriegs und der offenbaren Ziellosigkeit der US-Militärführer in Saigon begann der Rückhalt in den Medien zu bröckeln. Ende Januar 1968, nach Beginn der Tet-Offensive, schlug die Stimmung endgültig um.

Im Sommer 1971 veröffentlichte die New York Times die so genannten „Pentagon-Papiere“, geheime Regierungsdokumente über die Vorgeschichte und Entwicklung des amerikanischen Engagements in Vietnam, die 1967 für den damaligen US-Verteidigungsminister McNamara zusammengestellt worden waren. Deren Fazit, so der Historiker Marc Fey: Mehrere Präsidenten hatten die Öffentlichkeit über das Ausmaß der Aktionen getäuscht, und über Jahrzehnte hinweg dominierten antikommunistische Bedrohungsvorstellungen die US-Politik, gegen die realistische Analysen der Lage in Indochina keine Chance hatten.

Die Unterstützung der Medienvertreter durch das Militär aber blieb bis zuletzt, auch wenn in den USA die TV-Bilder des Dschungelkrieges und die Aufdeckung amerikanischer Verbrechen – vom Napalmeinsatz über die Entlaubungsaktionen bis zum Massaker von My Lai – zu einer generellen Kriegsmüdigkeit führten: Schon Ende 1970 befanden in Umfragen sechzig Prozent aller US-Bürger, der Krieg sei unmoralisch.

Doch bis zuletzt flogen auf den US-Hubschraubern Reporter und Kameraleute mit, sorgte die Transportlogistik der amerikanischen Militärmaschinerie dafür, dass die damals noch ausschließlich auf Film gedrehten TV-Beiträge in kürzester Zeit die Fernsehnachrichten der großen Networks erreichten. Zum ersten – und vermutlich letzten – Mal war ein Krieg ohne Zensurauflagen zu sehen, die Journalisten berichteten vom eigentlichen Frontgeschehen genauso ungeschminkt wie von der tödlichen Langeweile und dem um sich greifenden Heroinmissbrauch der GIs.

Der Falklandkrieg und die Invasion in Grenada markieren die Wende zur heutigen Kriegsberichterstattung. Und das Kalkül der Militärs ist aufgegangen: Zwar liefen vor allem die US-Medien Sturm gegen ihren Ausschluss vom Geschehen, die völlige Beschneidung der Recherche vor Ort und erst recht die empfindliche Zensur der dann noch möglichen Artikel und Beiträge. Doch die Öffentlichkeit hielt dieses Mal dem Militär – und den jeweiligen Regierungen Thatcher und Reagan – die Stange: Gerade weil die Kriegsgebiete eher unbedeutend waren und fern der Heimat lagen, befand die schweigende Mehrheit diesmal Geheimhaltung und militärische Strategiespiele für wichtiger als unabhängige Berichterstattung: Das Publikum sah keine Glaubwürdigkeitslücke.

Zum Golfkrieg hatte sich zwar wieder die eine „Glaubwürdigkeitslücke“ aufgetan, doch es war zu spät: Seit Vietnam geht es nicht mehr darum, ob Kriegsberichterstattung in den westlichen Demokratien kontrolliert und zensiert werden darf beziehungsweise soll, sondern nur darum, wie dies am besten zu bewerkstelligen ist. Das Poolsystem, wonach nur ausgewählte Journalisten am Ort des Geschehens sein dürfen und dort natürlich rundum betreut – also: abgeschirmt – werden, war am Persischen Golf endgültig etabliert.

Diese von einem „Joint Information Bureau“ der Alliierten Streitkräfte abgesegneten Poolberichte mussten dann allen anderen Medien zur Verfügung gestellt werden. Akkreditierte die US-Armee in Vietnam noch beinahe jeden, gab man jetzt den Medien des eigenen Landes den Vorzug: Am Golf saß nur CNN überall in der ersten Reihe, in den Pools dominierten andere US-Medien neben Franzosen und Briten – und die ARD stand auf Platz 58 der Warteliste.

Zwecklos der mediale Protest: Wer außerhalb des Pools vom Militär aufgegriffen wurde, verlor seine Akkreditierung und damit den Anspruch auf verhältnismäßige Sicherheit. Nachdem die großen Nachrichtenorganisationen ihr Scheitern eingestanden hatten, pfiffen sie renitente Journalisten von selbst zurück, ließ sich doch durch Goodwill dann die ein oder andere Bevorzugung gegenüber der Konkurrenz erkaufen.

Die so entstehenden Abhängigkeiten und Gefahren sind hinlänglich dokumentiert: Vom bloßen Hereinfallen auf angebliche Gräueltaten des irakischen Regimes (wie das Abstellen der Brutkästen in Krankenhäusern) bis hin zur Instrumentalisierung der kompletten Berichterstattung (Vortäuschung einer alliierten Invasion an der kuwaitischen Küste): Am Ende dankte US-Oberbefehlshaber Schwartzkopf den Medien ausdrücklich für ihre „Mitwirkung“.

Auch im Kosovokrieg folgte die PR-Strategie der Militärs den Lektionen von Vietnam, deren wesentliche Prinzipien Philip Knightley so bilanziert: „Erscheine transparent und hilfsbereit. Setze niemals auf vollständige Unterdrückung oder direkte Kontrolle (von Nachrichten), spiele unerwünschte Tatsachen lieber herunter als sie zu verschweigen, kontrolliere Ausdruck und Meinung (der Berichte) stärker als die Fakten – und lüge nur dann direkt, wenn sicher ist, dass diese Lüge nicht im Laufe des Krieges entlarvt werden kann.“

Über 2.700 Medienarbeiter – Reporter, Kamerateams, Techniker, Übersetzer, Fahrer – begleiteten 1999 die Natokampagne im Kosovo. Gegenüber dem Videospieleindruck des Golfkriegs waren die offiziellen Briefings der Nato zwar etwas zurückhaltender. Doch das Durcheinander von Natosprechern im Brüsseler Hauptquartier, nationalen Regierungschefs und ihren Verteidigungsministern und den jeweiligen Truppensprechern sorgte noch für zusätzliche Unsicherheit. Symptomatisch mag hierfür eine Mission von US-Kongressabgeordneten stehen: Weil sie weder ihrer eigenen Regierung noch der Nato noch den Medien trauten, fuhren sie im April 1999 selbst nach Jugoslawien.

Für die Kriegsberichterstatter hat sich die Lage seit den Tagen von Vietnam vereinfacht: Entweder bleiben sie Teil der militärischen Propagandamaschine – oder sie hören auf, zu berichten.

STEFFEN GRIMBERG, 32, ist Medienredakteur der taz in Berlin