So 'ne Bildung wär' ideal

Alexander von Humboldt forschte schon vor 150 Jahren „ganzheitlich“. Ein Ausnahme-Genie aus reichem Elternhaus  ■ Von Heinz-Günter Hollein

Die beiden maßgeblichen deutschen Wörterbücher kennen den Begriff nicht. Weder im Duden noch im Wahrig findet sich ein Eintrag „Bildungsideal“. Wohl gibt es den „Bildungsbürger“ und den „Bildungsnotstand“, allein, dazwischen herrscht die „Bildungslü-cke“. Kein Wunder. Angesichts klammer Kultuskassen wird Regelstudienzeit-geplagten Studierenden nur zu gern ausgeredet, dem Ideal nachzustreben, das mit einem Namen verknüpft ist, dessen Strahlkraft nach 150 Jahren wohl endgültig zu erlöschen droht: dem „Humboldtschen Bildungsideal“.

Ideal war für Alexander von Humboldt (1769-1859) zweifellos , dass seine Mutter ihm, nach heutigen Maßstäben, ein Millionenerbe hinterließ. Ein Drittel davon gab er für eine fünfjährige Forschungsreise durch Südamerika dran, den Rest investierte Humboldt im Verlaufe weiterer 20 Jahre in eine 30-bändige Publikation der Ergebnisse. „Die Entäußerung in die Sache führt zu sich selbst“, bringt „Bildung“-Autor Dietrich Schwanitz das von Humboldt verkörperte Ideal auf den Punkt. Geophysik, Botanik, Klimaforschung, Ozeanographie, Magnetfeldmessung, er ergründete diese Forschungszweige und bestieg, fast nebenbei, den Chimborazo bis auf 5.400 Meter. Der Ruf des „letzten Universalgenies der Naturwissenschaften“ kommt nicht von ungefähr. „Der Mensch muss das Große und Gute wollen!“ schrieb Humboldt. Dazu nahm er es auch bereitwillig hin, dass ihn „das Studium der Natur von der Sinnlichkeit zurückhalten“ würde.

Die so aufgesparten Energien verwandte er darauf, noch einmal fünf Bände zu Papier zu bringen, die den schlichten Titel trugen „Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“. Den Anspruch, „die Welt in ihrer geschichtlich gewordenen Ganzheitlichkeit zu beschreiben“ hat Humboldt für seine Zeit noch mit scheinbar leichter Hand einlösen können. Rekordverdächtig war auch sein 16-teiliger Vorlesungszyklus, in dem er 1827/28 seine Kernthesen zum „Kosmos“ vortrug. 1400 Zuhörer in der Berliner Singakademie – ein Bild, das StudentInnen dieser Tage nicht ganz unvertraut sein dürfte.

Heute wäre der Ausnahmewissenschaftler vor jeder Berufungskommission chancenlos. Einen akademischen Grad sucht man in Humboldts Lebenslauf vergebens. „Ein Menschenleben“, schrieb er einmal, sei nicht dazu da, „gemeinen Zwecken“ aufgeopfert zu werden. Der „Zweck“, den Humboldt in jeder Forschung sah, war die Verbindung des „Studiums der physischen Natur mit dem der moralischen“. So wirkte er als Mentor Simon Bolivars nicht unbeträchtlich auf die „Bildung“ der südamerikanischen Befreiungsbewegung ein, betrieb als Staatsrat in Preußen die Verabschiedung eines Anti-Sklaverei-Gesetzes und die Aufhebung der Leibeigenschaft und ertrug nach 1848 gelassen den Hass der geistig-politischen Reaktionäre am preußischen Hof.

Humboldt war, so sein Biograph Adolf Meyer-Abich, ein „Liebling der Natur“ wie außer ihm nur noch Goethe. Aber auch für weniger begnadete Nachgeborene bleibt das von ihm gebildete Ideal nicht völlig unerreichbar. Trotz aller Sammel-, Mess- und Klassifizierleidenschaft galt für ihn: „Der ordnende Denker soll trachten, der Gefahr der empirischen Fülle zu entgehen.“