Rhinozeros zwischen den Welten

■ Das Instituto Cervantes beschäftigt sich mit dem kulturellen Austausch zwischen Europa und Lateinamerika seit 1492

Die indigenen Kulturen wurden von Spaniern und Portugiesen ausgelöscht, spricht das kritische europäische Bewusstsein selbstzerknirscht – und begibt sich damit in die Gefahr einer zweiten Auslöschung. Denn wo nichts mehr ist, muss auch nichts erforscht werden. Eine Art unfreiwillige sekundäre Unterdrückung des Indigenen, was die Zeit nach der Conquista anbelangt. Erst in den letzten Jahren intensivieren sich Untersuchungen zur spanisch-indigenen Wechselbeziehung. Architektur und Malerei in Lateinamerika ist eben nicht nur als radikale Selbstverleugnung zu beschreiben, sondern als komplexe Geschichte der Aneignung, Modifikation, Variation.

In vorderster Front dieses Paradigmenwechsels stehen Kunsthistoriker aus Lateinamerika. Und so war es für das Instituto Cervantes – das ist das spanische Pendant zum Goethe-Institut – eine Selbstverständlichkeit, nicht nur Kunstwissenschaftler aus Spanien und Deutschland zum Kongress „Lateinamerika – Europa, Europa – Lateinamerika“ zu laden, sondern auch von jenseits des Atlantiks. So wechseln sich 17 Wissenschaftler aus Dresden und Mexiko City, Barcelona und Bogota in der Schwachhauser Villa mit spanischer Flagge vor Mikro und Diaprojektor ab, teils Koryphäen, teils Youngsters, die ihre frisch geschlüpfte Magisterarbeit vorstellen. Ein gigantomanischer Kraftakt für die kleine Mannschaft des Institutos. „Wir haben eben viel gearbeitet“, meint die Berliner Instituto-Frau Helga von Kügelgen lakonisch. Bei ihren Moderationen werkelt sie mit den Armen und moduliert die Stimme mit einer Heftigkeit, mit der keiner der lateinamerikanischen Gäste auch nur annähernd mithalten kann. Sie ist in Lateinamerika aufgewachsen. Auch so ein Beispiel für die Komplexität von Austauschprozessen.

Ein anderes Beispiel ist die berühmte Franziskanerkirche Tecamachalco. Wie so oft in Mexiko und Kolumbien wurden die Motive der Deckenmalerei von 1562 von deutschen, französischen, spanischen Kupferstichen schnöde abgekupfert. Bücher sind auf den Frachtlisten spanischer Schiffe massenweise verzeichnet. Sie fungierten in Übersee als eine Art „tragbares Europa“, meint Referentin Niedermeier. Bei der Franziskanerkirche waren es Bibelillustrationen unter anderem von Hans Holbein, die „in Europa längst überholt waren“. Die Fachwelt schrieb die Arbeiten lange Zeit einem europäischen Maler zu. Als dann der indianische Maler Juan Gerson als Täter ermittelt wurde, deutete man prompt einige ungelenke Körperdarstellungen als typisch eingeboren. Niedermeier aber entdeckte diese staksigen Gliedmaßen schon in den europäischen Vorlagen. Allerdings gönnte sich Gerson die Freiheit, in eine Himmelsdarstellung eine Gebirgslandschaft hineinzupflanzen, die er wohl auf niederländischen Gemälden gesehen hatte – und brachte so die christliche Ikonografie durcheinander.

Reichlich kompliziert ist auch die Geschichte eines Rhinozeros an der Decke eines Hauses in Tunja. Ursprünglich stammt das Monster von einem Dürer-Stich, geriet in leicht veränderter Fassung in ein Musterbuch für spanische Goldschmiede und von dort, mit fies fletschenden Zähnen versehen, auf die kolumbianische Decke. Referent Schatz spricht von „europäischen Implantaten“. Bei der Restauration der Decke wurde es wieder das zahnlose Dürersche Original rückverwandelt – eigentlich eine glatte Fälschung. Der dürervernarrte Restaurator war ein Kolumbianer.

Von einer echten Osmose der zwei Kulturen berichtet zum Beispiel Pablo Escalante. Während in Europa die Inquisition mit ihrem Allwissenheitsterror wütete, tolerierten die spanischen Mönche in Lateinamerika entspannt das Aufsaugen indigener Symbole. Die Erzengel bekamen die Schmuckfedern des Quetzalvogels anstelle abendländischer Flügel. Christi Tod wurde in die indigene Tradition von Menschenopfern eingepasst. Und Jerusalem ersetzte man durch Tula. Dass politische Unterdrückung mit einer gewissen religiös-kulturellen Toleranz einhergehen kann, ist eben nicht nur in den „Kolonien“ der alten Griechen oder Römer in Ägypten oder Germanien zu konstatieren.

Es ist gut, dass ein nationales Kulturinstitut nicht mit Eigenem protzt, sondern dieses als Welle deutet, die in einem Meer schwappt. Irgendwie das Ding, das Hans Haake etwas hilflos mit seinem Volk-Bevölkerung-Turn-Around intendiert. Ein Referent darf sich sogar Le Corbusier widmen. Seine Ideen entspringen zwar europäischer Geistesgeschichte, doch zu deren Verwirklichung war Platz, Geld, Wille, Bedarf dann doch eher in Rio de Janeiro. Oscar Niemeyers hatte für seine Visionen gar eine ganze Stadt, Brasilia. bk

Schwachhauser Ring 124, freier Eintritt. Programm heute: 9-13 Uhr Lateinamerika im Spannungsfeld zwischen europäischen Einfüssen und kultureller Selbstbehauptung im 19.+20. Jhdt. (alle Vorträge in spanischer Sprache). Morgen 9.30-13 Uhr Lateinamerikanische Architektur des 20. Jhdts. zwischen Bauhaus und Rückbesinnung (Vorträge meist deutsch).