Zander zwischen Betonburgen

Berlin ist deutsche Anglerhauptstadt. Doch eine Fischereiordnung gibt es nicht. An den Ufern von Havel und Spree,aber auch mitten in Industriegebieten hocken die Hobbyangler und hoffen, eine der 29 Fischarten an ihre Haken zu locken

Eine dicke Wasserdampfsäule schiebt sich aus dem Kühlturm in den Himmel, nebenan schleichen fünf Mülltransporter aus einer Einfahrt in den Schwerlastverkehr hinein. Flach auf dem Wasser der Spree tuckert eine schwer beladene Schute, es riecht ganz leicht nach Diesel. Mitten in einem Industriegebiet sitzt Lutz Haberland am Ufer und genießt das Naturerlebnis. Er sieht nicht die großen Zweckbauten der Firmen ringsum. Er schaut nur auf seinen Schwimmer, der zwischen den kleinen Spreewellen auf und ab hüpft.

Lutz Haberland ist Berliner und Angler – einer von mindestens 80.000, die an den 5.500 Hektar Wasserfläche der Stadt auf Fischjagd gehen. 29 Fischarten tummeln sich in Dahme, Spree und Havel.

Angeln mitten im „steinernen Meer“? Zander zwischen Betonburgen, Weißfisch am Landwehrkanal? Wenn man die Hobbyfischer fragt, warum sie angeln, sagen sie: „Man ist in der Natur.“ Damit meinen sie nicht nur die ruhigeren, schöneren Gegenden der Havel oder die Seen, sondern auch den wenig idyllischen Platz, an dem Lutz Haberland sich an diesem Tag eingerichtet hat.

Und tatsächlich: Wer in der Uferböschung steht, für den tritt die Stadt unerwartet in den Hintergrund. Zwischen Bäumen und Grasbüscheln hat sich Haberland mit seinen Gerätschaften eingerichtet, einige Meter weiter lauert Erwin Zange in Hockstellung mit einer ellenlangen Rute aus Kohlefaser auf seinen Fang. Nichts zählt mehr außer dem Fisch.

Dabei haben die Angler durchaus so manchen Ärger. Als einziges Bundesland hat das Land Berlin keine Fischereiordnung, dafür gelten aber in den Ostbezirken noch die Regelungen aus Vorwendezeiten. Die Fischereiordnung regelt den Umgang mit Gewässern und Fischen: Wie groß Fische sein müssen, bevor sie gefangen werden dürfen, zum Beispiel. Nicht aber im Westteil Berlins.

„Ohne Regelung sind die Gewässer gefährdet“, kritisiert Thomas Riesbeck vom West-Verband der Deutschen Sportfischer. Denn die Berufsfischer, an die viele der Berliner Gewässer verpachtet sind, griffen sich ohne Schonung ihren Fang. Edelfische wie Zander, Hecht und Aal wanderten in allen Größen in die Käscher der Profis. Dafür vermehrten sich die Weißfische unendlich. Eine Schande sei das, findet Riesbeck – und das in der Anglerhauptstadt, in der mehr Hobbyfischer am Ufer stehen als in Hamburg. Auch Vincent Kluwe-Yorck, in dessen Deutschem Anglerverband die Ost-Fischer organisiert sind, schimpft: „Die Berufsfischer treiben Raubbau.“

Doch am Wasser fällt der Ärger ab wie eine alte Haut. Viele würden vielleicht nicht verstehen, warum der pensionierte Polizist Jörg Schildt ganze Nächte lang auf Aalfang geht und sich regelmäßig Ärger mit dem Ischiasnerv einhandelt. „Ich bin einfach zufrieden und ausgeglichen“, sagt er. „Wenn ich angle, dann bin ich ganz weit weg von allem, was mich belastet“, meint Haberland, der tagsüber in U-Bahnen für Ordnung sorgt. Und Thomas Riesbeck fasst in Worte, warum: „Wenn ich angle, dann bin ich ganz Fisch.“ KATJA BAUER/DPA