Von Arbeitgebern und Telearbeit

Deutschland ist bei der Auslagerung von Arbeit bestenfalls im europäischen Mittelfeld zu finden. Dies liegtjedoch nicht an den Angestellten. Viele Führungskräfte stehen der Telearbeit nach wie vor skeptisch gegenüber

von KARIN HAHN

Der Chef betritt morgens das Büro und niemand ist da. Die Sekretärin ist im Urlaub, der Auszubildende in der Berufsschule und die restlichen Mitarbeiter der Firma sind Telearbeiter und haben ihren Schreibtisch in die eigenen vier Wände verlegt. Welch eine Horrorvorstellung für Führungskräfte, Monarchen ohne Fußvolk, wie soll da ein Unternehmen funktionieren?

Telearbeit wird als Arbeitsform der Zukunft propagiert, doch in Deutschland bisher nur wenig praktiziert. Momentan existieren etwa 2,1 Millionen Telearbeitsplätze, das sind nur 6 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse. Laut einer Studie des Bonner Empirica-Instituts könnte in 69 Prozent aller Jobs in Deutschland zumindest an einem Tag in der Woche außerhalb des Büros gearbeitet werden, wenn die Arbeitgeber nur wollten.

An den Mitarbeitern kann es nicht liegen. Mehr als die Hälfte aller Telearbeitsplätze geht auf die Anregung der Angestellten zurück, ermittelten Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation. Viele Arbeitnehmer erhoffen sich durch die Telearbeit eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Doch die Chefetagen stehen dieser neuen Arbeitsform oft kritisch gegenüber. „Besonders die mittleren Führungskräfte tun sich mit der Einführung von Telearbeitsplätzen schwer“, weiß auch Rolf Kowitz, Leiter des Projekts „Teleskop“, das sich beim Kölner Institut der deutschen Wirtschaft mit der Erschließung von Telearbeitspotenzial beschäftigt. „Sie müssen ihren Führungsstil grundlegend ändern, denn bei der Telearbeit zählt nicht mehr die Anwesenheit der Arbeitnehmer, sondern nur das Ergebnis“, berichtet Kowitz weiter, „dazu müssen Zielvereinbarungen getroffen und Kriterien entwickelt werden.“ Dies erfordere wiederum genaue Planung, die Bereitschaft, Aufgaben zu delegieren, sowie die frühzeitige Weitergabe von Informationen. Mangelnde Führungsqualität fällt bei dieser Arbeitsform schneller auf.

Hinzu kommt, dass besonders für kleine und mittlere Unternehmen die Kosten-Nutzen-Situation nur schwer zu ermitteln ist. Denn Ergebnisse, dass durch Telearbeit die Fluktuation abnimmt, sich die Mitarbeiter stärker mit dem Unternehmen identifizieren und die Produktivität steigt, sind nur schwer in konkrete Zahlen zu fassen.

Sechs Modellunternehmen unterschiedlichster Größe – vom Kleinstbetrieb bis zum Unternehmen mit 400 Mitarbeiter – waren an dem Projekt „Teleskop“, das vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) von Januar 1998 bis März 2000 durchgeführt wurde, beteiligt. Im Vordergrund stand dabei die Qualifizierung der Geschäftsführer und leitenden Angestellten für die Durchführung der Telearbeit.

„Wichtig für die Einführung der Telearbeit ist die Freiwilligkeit auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, das Rückkehr- und das Rückholrecht und die Planungssicherheit“, erläutert Rolf Kowitz. „Jeder Arbeitgeber sollte das Recht haben, den Arbeitnehmer an den Schreibtisch in die Firma zurückzuholen. Und der Arbeitnehmer sollte das Recht haben, wieder in der Firma zu arbeiten, wenn es zu Hause nicht klappt.“

Grundsätzlich lässt sich jeder Arbeitsplatz, bei dem keine persönliche Anwesenheit nötig ist, in einen Telearbeitsplatz umwandeln, meint Kowitz. Bisher nimmt Deutschland mit sechs Prozent nur einen Mittelwert innerhalb der EU-Länder ein. In Finnland, Schweden und den Niederlanden liegt der Anteil der Telearbeitsplätze bei rund 15 bis 17 Prozent.

Ein Vorreiter in dieser Arbeitsform sind die Informationstechnologie sowie Banken und Versicherungen. Allein bei IBM sind in Deutschland 4.000 Mitarbeiter als Telemitarbeiter ausgewiesen. Möchten sie einen Tag im Büro arbeiten, so finden sie in einem „Shared Desk“-Büroraum einen Schreibtisch.

Finanzielle oder soziale Nachteile entstehen ihnen durch die Verlagerung des Arbeitsplatzes an den häuslichen Herd nicht. Eine Betriebsvereinbarung regelt die Finanzierung der häuslichen Infrastruktur, für die Telefonkosten wird eine Aufwandsentschädigung gezahlt und für die Arbeitszeit, den Haftungs- und Versicherungsschutz gelten die gleichen Bedingungen wie für die Angestellten, die direkt in der Firma tätig sind. Die Vorteile liegen auf beiden Seiten: Der Arbeitgeber spart Büroraum, der Arbeitnehmer Fahrtkosten, und er kann sich seine Arbeitszeit frei einteilen.

Dem Trugschluss, durch Telearbeit entstünden neue Arbeitsplätze, sollte man allerdings nicht aufsitzen. So kam der Arbeitsmarktforscher Michael Jäckel von der Universität Trier in einer Studie zu dem Ergebnis, dass Telearbeit sich meistens „aus einem langjährigen Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Firmenleitung ergibt“.