Ein neuer Boom der Memorialkultur

Die Bundestagsinitiative für das Einheits-Denkmal betritt politisches Neuland: Sie fordert ein positives nationales Symbol

„Eine wahre Massensuggestion herrscht. Kaum ist ein Denkmal gesetzt, kaum der Enthüllungsspruch geredet, da sammeln ehrenwerte Männer, denen es um Kunst und Dekoration – besonders ihres Knopfloches – zu tun ist, schon wieder Geld für ein neues. Wie lange wird die Seuche noch wüten? Soll aller Ungeschmack des vergangenen Jahrhunderts in das neue geschleppt werden?“

Mit diesen Worten beklagte der Kunsthistoriker Richard Muther im Jahre 1902 eine in Preußen grassierende „Denkmalsseuche“. Landauf, landab wurden damals unzählige Monumente zu Ehren Bismarcks sowie des 1888 verstorbenen Kaisers Wilhelm errichtet. Die soziale Unsicherheit einer sich rasant modernisierenden Gesellschaft sollte mit monumentaler Geste überspielt werden. Nationale Identität und Größe wurden als Heilmittel beschworen.

Kaum 100 Jahre später beobachten wir einen neuen Boom der Memorialkultur. Sogar das „Nationaldenkmal“ soll nun eine Renaissance erleben. Selbstbewusst lassen die Unterstützer des neuen Einheits- und Freiheitsdenkmals ihren Vorschlag auf den Fundamenten des Berliner Kaiser-Wilhelm-Denkmals sockeln und knüpfen eine Verbindung zur Hoch-Zeit nationaler Denkmalskunst im 19. Jahrhundert. „Überwindung und Vollendung“ lautet das Ziel des Gruppenantrags. Nachdrücklich wird die Rehabilitierung eines Mediums betrieben, das lange in Verruf stand. Die Unfähigkeiten, zu trauern und zu feiern, seien nur zusammen zu überwinden, behauptet der Antrag und fordert neben „Denkmälern der Trauer und der Schande“ auch „Denkmäler des Stolzes und der Freude“ als „notwendige Grundsteine des neuen Deutschlands“.

Aus bundesrepublikanischer Sicht betritt der Antrag damit denkmalpolitisches Neuland. Der Verlust nationalstaatlicher Einheit machte die Setzung von Nationaldenkmälern schwierig. Dennoch wurde Ende der Fünfziger- und im Verlauf der Sechzigerjahre bundesweit eine Vielzahl von Denkmälern der deutschen Einheit errichtet. Nationale Einheit wurde dabei jedoch ex negativo thematisiert, als Klage um den Verlust. Dazu gehören etwa die „Kugelform“ Karl Hartungs in Hannover, Anni Buschkötters Betonstele in Münster (1959) sowie die Skulptur „Wiedervereinigung“ von Arnold Schatz, die 1969 im Berliner Humboldthain errichtet wurde. Erst die alternativen Denkmalprojekte der späten Sechziger- und Siebzigerjahre rückten das Thema nationaler Schuld in den Vordergrund. Als dezentrale, ortsbezogene Interventionen markierten sie die Orte der Täter. Mit dem Projekt eines zentralen „Denkmals für die Ermordeten Juden Europas“ erreicht diese Entwicklung einen Höhepunkt und wird gleichzeitig in nationale Bahnen überführt. Als repräsentative Setzung per Parlamentsbeschluss entsteht nun, den ehemaligen Mauerstreifen überbrückend, eine Art „negatives Nationaldenkmal“, das die gespaltene Nation vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen Schuld zu einen trachtet.

Damit scheint auch der Weg gebahnt für „positive“ nationale Denkmale: „Nach der ernsthaften Debatte über die Passiva deutscher Geschichte haben wir auch das Recht, über die Aktiva deutscher Geschichte nachzudenken“, betont einer der Initiatoren des neuen Monuments, Lothar de Maizière. Es entsteht das Gefühl, hier solle eine Art Gegendenkmal zum „Holocaust-Mahnmal“ entstehen, das den negativen Gründungsakt der Berliner Republik mit einem positiven konterkariert.

Das Vorhaben, der friedlichen Revolution in der DDR und der nachfolgenden Einheit zu gedenken, wird breite Zustimmung finden, auch wenn die verkürzende Ineinssetzung dieser beiden Vorgänge ein eindimensionales Geschichtsbild zu festigen sucht. Mit der Wahl des Ortes haben sich die Initiatoren aber keinen Gefallen getan. Ohne Not rücken sie ihr Vorhaben in die Nachfolge eines der umstrittensten Denkmale der Kaiserzeit.

Ein Vierteljahrhundert nach der Reichsgründung sollte das Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. sichtbar werden lassen, „dass die Einheitssaat herrlich aufgegangen ist“ und „dass die deutsche Einheit unzerstörbar aufgerichtet worden“ sei. Viele Parlamentarier wollten es in der Nähe des Reichstags errichtet sehen, doch Wilhelm II. beschloss ein Reiterstandbild seines Großvaters direkt vor dem Schloss. Aus der Parlamentsinitiative wurde ein dynastisches Monument, dessen überproportionierte Dimensionen heftig kritisiert wurden. Während das Koblenzer Pendant am „Deutschen Eck“ seine Funktion als bundesrepublikanisches Denkmal deutscher Einheit mit der Rückkehr des reitenden Kaisers im Mai 1992 beendete, steht dem leeren Berliner Postament diese Aufgabe erst bevor. GODEHARD JANZING

Der Autor ist Kunsthistoriker und im Vorstand des alternativen Berufsverbands „Ulmer Verein“.