Für schwule Hausfrauen

Ralph Morgenstern übt mit „Kaffeeklatsch“ den Spagat zwischen den Zielgruppen: Frauen jenseits der Wechseljahre, Männer mit Hang zum Kitsch. Zur 149. Folge zieht die kuriose Plauderrunde nun nach Berlin (Sa., 15.30 Uhr, ZDF)

Haben Sie schon gehört? Bei Frauen ab 45 sinkt der Östrogenspiegel, es steigt das Testosteron – Wechseljahre machen kämpferisch. Bei Männern verhält es sich umgekehrt. Hier steigt bedenklich der Östrogenspiegel. Die Folge: „Männer wollen mehr kuscheln“, sagt Karin Kny aus Essen und fragt zu Recht: „Wie soll das dann bitt’ schön klappen mit einem 70-jährigen Mann und einer 45-jährigen Frau?“ Gemeint ist natürlich Klaus-Jürgen Wussow, der kürzlich von seiner Yvonne verlassen wurde: „Eine Zeitung hat sogar geschrieben, er weint manchmal“. Prompt kommt das Echo aus dem Publikum: „Och ja“, der arme Wussow. Ralph Morgenstern, eine Karikatur rheinischer Frohnatur, grinst und reibt sich unterm Tisch die Hände.

Klappt ja wie am Schnürchen, die erste Aufzeichnung der Sendung „Kaffeeklatsch“ (Sa., 15.30 Uhr, ZDF) aus dem Berliner Union Film Studio. Zuvor wurde die Sendung in Wiesbaden aufgezeichnet. Nun wollte man schlicht dorthin, „wo das Leben pulsiert“ – sagt Ralph Morgenstern mit Blick auf die traditionelle Torte, Mittelpunkt jeder dieser Gesprächsrunden. Diesmal thront das Brandenburger Tor aus Marzipan auf dem Gebäck. Und Morgenstern ist aufrichtig bestürzt, weil schon jemand dran geknabbert hat: „Was soll das? Östlich vom Brandenburger Tor fehlt ein Stück! Wo sind die Kabelträger?“

Gegessen hat’s der Produktionsassistent, der jetzt mit rotem Gesicht im Dunkel hinter der Kamera steht. Aber was soll’s: Es sind eben solche Katastrophen, die Morgenstern und jeweils vier mütterliche, „meinungsfreudige Damen“ erörtern. Rekrutiert werden die Klatschtanten aus einem ständigen Palaver-Pool von rund 20 Kandidatinnen; für die Berliner Premiere musste per Anzeige noch eine Einheimische aufgetrieben werden: „Kaffeeklatsch“ ist eine travestierte Version des Internationalen Frühschoppens, mit Morgenstern als tuntigem Werner Höfer – und findet samstagnachmittags immerhin eine Million Zuschauer.

Themen heute: Zlatko und Jürgen aus „Big Brother“ und Wussows Trennung von seiner Frau, der Yvonne, diesem Biest. Dass beide heiße Eisen schon am 30. März auf Seite 14 der Bild aufgegriffen wurden, ficht die Macher der Sendung nicht an. Im Gegenteil: Seit 1995 erfreut sich die Koproduktion von ZDF und der Kölner Pro GmbH anständiger Nachmittagsquoten, nächsten Samstag kann die bizarre Veranstaltung ihren 150. Geburtstag feiern. Anlass genug also für den „frechen Plaudertalk“ (ZDF-Eigenwerbung), sich mit dem Umzug zugleich das Mäntelchen der Relevanz umzuhängen.

Im Studio riecht’s nach Haarwasser und „4711“ – die rüstigen Rentnerinnen werden in den Pausen mit schlüpfrigen Witzen bei Laune gehalten: „Warum sind viele Frauen so sauber? Weil sie mit einem Waschlappen ins Bett gehen.“ Solche Bonmots bekommen die Gäste etwa der „Hitparade“ nicht zu hören, wie ein erfahrener Studiogast anmerkt: „Außerdem kann ich mich hier öffentlich-rechtlich betrinken“.

Derweil bricht Renate Sandvoß aus Sylt eine Lanze für Frau Merkel – im Rahmen ihrer Möglichkeiten: „Wenn ein männlicher Politiker sagt, er zieht sich mit seinem Beraterstab zurück, dann kommt ja auch niemand auf dumme Gedanken.“

Dumme Gedanken sind es, die dieser medialen Symbiose aus schwuler Trashkultur und lüsterner Geriatrie ihren Reiz verleihen. Morgenstern bemäntelt das mit Ironie, seine Talkgäste mit Scherzen über das eigene Klimakterium. In größtmöglichem Abstand umkreisen die Plappernden den heißen Brei: Sex. Und delektieren sich daran, dass es anderen noch dreckiger geht: „Johannes Heesters ist so alt“, sagt Frau Kny, „der hat überhaupt keine Hormone mehr!“ ARNO FRANK