die stimme der kritik
: Betr.: Reich und sexy

AUCH IN DIR STECKT EIN BANKER

Ein Siegerlächeln, das ein halbes Jahr dauert, wird zum Problem. Vor sechs Monaten bekam mein Freund Ralph seinen ersten Job. Seitdem sagt er auf jeder Party beim Vorstellen knapp in die Runde: „Meier, Dresdner Bank.“

Alles hält die Luft an. Dann legt Ralph (1,65 Meter) nach: „Großkundengeschäft.“ Gequältes Stöhnen allenthalben. Die umstehenden Chefärzte, Professoren und Theaterintendanten verhehlen nur mühsam Neid und Missgunst. Der Mann hat einen tollen Beruf. Der weiß, was alle wissen wollen: Womit man Geld verdient, das man gar nicht braucht. Der liest die Financial Times in Deutsch und Englisch. Für den ist die Börse kein Lottoersatz. Und klar, Infineon hat er auch gekriegt.

Früher war das alles einmal anders. Da gab es noch mit mittlerer Reife eine Ausbildung bei der Bankfiliale im Nachbardorf. Heute rät der Personalleiter: „Ihr 2,0-Abi reicht uns nicht. Studieren Sie doch Medizin.“ In der Schule musste einer wie Ralph im Literaturunterricht noch lesen: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Das schrieb bekanntlich einer, der ausgerechnet aus Augsburg kam, der Stadt Jakob Fuggers!

Trifft Ralph heute seine angegrauten Pauker, heischen sie Verständnis für ihr kümmerlich-deprimierendes Buchdeckeldasein: „Bevor Boccaccio seinen Decamerone schrieb, war er Bankangestellter in Neapel, hä, hä.“ Danach betteln diese peinlichen Versager Ralph glatt auf offener Straße um Anlagetipps an.

Ralphs Freunde aus der Bank hingegen würden sich niemals so erniedrigen. Die bleiben sogar bei geplatzten Fusionen ganz lässig. Ängstlich geweitete Pupillen habe ich bei Ralph nur ein einziges Mal gesehen. Als ein Mensch mit frisch verstorbener Erbtante beiläufig erzählte, er habe sich bei einer Direktbank angemeldet.

Internetbanking soll ja boomen, hört man jedenfalls. Mit ein paar zehntausend Mark, einem PC und nur ein bis zwei Stunden Bilanzlektüre täglich können wir uns bald alle mit dem beschäftigen, was zählt. Und was reich und sexy macht: mit Geld. Ralph und seine Kollegen brauchen wir dafür nicht mehr.

ROBIN ALEXANDER