Ohne roots-Zwangsverpflichtung

■ Mit feiner Ethno-Pop-Mixtur begeisterte Youssoun N'Dour, berühmtester Senegalese nach Senghor, im Pier 2 (fast) alle. Auch die vielen farbigen Gäste stören sich nicht an weißen Einfluss

Er kam wieder ganz in Weiß und diesmal sogar mit gautierartigem Designer-Schick. Auf dem bodenlangen, ärmellosen Mantel waren überdimensionale Poststempel verstreut – wie auf einem irrläufigen Paket, das nicht mehr weiß woher und wohin. Auf dem hip-reverlosen Jackett aber stand auf der rechten Seite „arrive“ und auf der Herzseite „Dakar“. In Dakar ist Youssou N'Dour geboren.

Das allein schon empfanden einige Leute als pure Lüge. 1984 war der Senegalese auf jenem Album zu hören, mit dem Peter Gabriel sein Come back einleitete. Und seit N'Dour auch nicht vor Sting und selbst Bruce Springsteen zurückschreckt, wird ihm vorgeworfen, sich immer mehr von seinen „roots“ zu entfernen. Das tun jene Quengler, die ihrerseits ganz froh sind, von den eigenen roots durch amerikanischen Pop befreit worden zu sein: Wer will schon Tag aus Tag ein alpines Jodeln oder maritime Shantys hören? Den Afrikaner aber will man zwangsverpflichten zu seinem sogenanntes kulturelles Erbe.

So japste Baaba Maal, nach N'Dour vielleicht der berühmteste senegalesische Sänger, mal ein wenig hilflos auf nervig-notorische Nachfragen von wegen roots, Authentiziät, Schuster-bleib-bei-deinen-Leisten: „Es gibt auch für uns keine Grenzen. Denn was in den USA und in Europa passiert, ist wichtig für uns.“ Und so kooperierte Maal nicht nur mit einem Reggaemann, sondern auch mit TripHoppern, Coumba Gawlo coverte Otis Reding, auch so ein Mischmaschzeug, und Wasis Diop gar die Talking heads. Viele von ihnen produzieren manche Platten doppelt, für den afrikanischen und für den weißen Markt – und werden mit schöner Regelmäßigkeit dafür von der westlichen Presse benaserüpft. Auch N'Dour coverte, zum Beispiel „Don't look back“. Zurückblicken tut er zwar schon gerne – da ist der Stolz auf die Griot-Wurzeln seiner Familie, da ist die Förderung junger afrikanischer Musik mit seinem Xippy-Studio und Jolobi-Label – aber eben nicht ausschließlich. Und so holte er im Pier 2 die Rapper der Vorband auf die Bühne. Die liefen interessanterweise erst in diesem Grenzverkehr zwischen Weltmusik und HipHop zu akzeptabler Form auf.

Ein Musikerauflauf in Truppenstärke sorgte für den typischen additiv-verfrickelten Schichtsound. Drei Musiker trugen weiße Haut, aber das spielte keine Rolle, und so duften auch sie einige der wenigen afrikanischen Trommeln auf der Bühne bedienen. Süßlicher Duettgesang mit einer butterweichen Frauenstimme wechselte mit ausgedehnten, die allmähliche Extase suchenden Instrumentals so selbstverständlich, dass man sich das Unterscheiden in westlich-kommerziell und echt-afrikanisch restlos abgewöhnte. Zumal der senegalische Mbalax-Sound an sich schon eine Fusion mit kubanischen Elementen beinhaltet. Nicht ganz zufällig begann N'Dours afrikanische Karriere in einem Laden namens „Miami Club“.

Sypathisch durchwachsen war auch das Publikum: jede Menge reiferer Damen, schunkelnd, wie frisch dem Bauchtanzseminar entschlüpft, jede Menge Farbiger, ebenfalls schunkelnd, allerdings gar nicht so in Anmachlaune wie es die dreckige Fantasie gemeinhin in solchen Kontexten befürchtet, und dann die ewigen dreissigjährigen Weißen mit dem guten Musikgeschmack und den skeptischen Gesichtern. N'Dour singt in Französisch, Englisch und Wolof, damit jeder die Chance hat, ein paar Brocken zu verstehen; eine Chance, die die meisten wahrscheinlich gerne verpasst haben in der um sich greifenden Partystimmung. Texte kann man schließlich im CD-Booklets nachlesen – um festzustellen, dass der afrikanische Widerstandsgeist sich in denjenigen europäischer Intellektueller glänzend einfügt – bis es dann plötzlich hakt und knarzt. Zusammen mit dem bekennenden Moslem Cheikh Lo etwa sang N'Dour: „Die Kinder reiben sich die Augen, die Abfälle der Zivilisation türmen sich vor unseren Städten, ich rufe zum Kampf auf, Sauberkeit, Sauberkeit.“ Für Bremer Viertelfans mag sich das fast ein bisschen nach law and order anhören. bk