Wenn der David seine Rachel sucht

In der Hauptstadt kamen jüdische Singles aus ganz Europa zu einem Kennenlernwochenende zusammen – und um leider viel zu viel zu beten

von PHILIPP GESSLER

Rabbiner Ehrenberg stellt eine Frage: Im 1. Buch Mose sagte Gott stets, dass es tov, „gut“ war, was Er selbst, der Einzige, in sieben Tagen erschaffen hat. Das Licht: tov. Das Scheiden von Wasser und Land: tov. Aber was von seinen Werken, fragt der ehrwürdige Rabbiner mit dem maßgeschneiderten Gehrock und weißem Bart, fand Gott lo tov, „nicht gut“? Still ist es geworden um das Schabbat-Mahl, das hier im Großen Saal der Jüdischen Gemeinde der Hauptstadt ausgerichtet wird. „Es ist nicht gut, lo tov, dass der Mensch allein bleibt“, fand Gott, wie der Rabbiner verkündet – und so machte Gott aus einer Rippe Adams Eva.

Was Ehrenberg aus der Heiligen Schrift nach den gefillten Fisch an der Festtafel mit den silbernen Kerzenständern in Erinnerung ruft, wissen die etwa 70 Männer und Frauen sehr genau. Allzu genau. Denn deshalb sind sie hier. Es sind jüdische Singles aus ganz Europa, einige gar aus Südafrika und Amerika, die vergangenes Wochenende nach Berlin gekommen sind: zum „European Jewish Singles Encounter“.

Organisiert hat das Treffen die Vereinigung „Yachad“, was „gemeinsam“ heißt. Seit 1995 leitet sie Gady Gronich, der gerade im Stress ist. Dem bulligen Münchener fällt bei seiner Ansprache an der Tafel mehrere Male die Kippa vom fast haarlosen Kopf. Schon 13 Treffen dieser Art hat er im Namen einer Vereinigung europäischer jüdischer Gemeinde (ECJC) mit Sitz in Paris durchgeführt.

Die Gemeinden unterstützen offiziell die Treffen der Jüdinnen und Juden zwischen Mitte 20 und Ende 40. Man soll sich kennen lernen und vielleicht, irgendwann, irgendwo, irgendwie, möglichst heiraten, unter sich. Aber so offen spricht das hier niemand gern aus. „Making friends“, das sei das primäre Ziel des Treffens, betont Gady – und dann könne man ja sehen, was daraus kommt: „Everything can happen.“ Auch Rabbiner Ehrenberg, der unpassenderweise neben seiner Frau auf einem Ehrenplatz sitzt, spricht nur verklausuliert: „In tausenden Jahren“ hätten die Juden nie ihre Religion verloren. Keine Verfolgung habe sie als Volk ausrotten können. Aber der Druck zur Assimilation sei immer da. Deshalb seien solche Treffen so gut – „und vielleicht kommt etwas raus“.

„That’s kitsch“, kommentiert Miriam* aus New York die Rede Ehrenbergs. Doch sie versteht sie wenigstens. Die charmante Mittzwanzigerin mit den schwarzen lockigen Haaren kann gut Deutsch. Andere nicht. Deshalb wächst bei der zweiten Belehrung Ehrenbergs nach dem koscheren Huhn die Unruhe in der internationalen Runde. Schon der orthodoxe Gottesdienst in einer Synagoge nahe dem Zoo zuvor war vielen zu lang. Dann noch das rituelle Händewäschen vor dem Essen (netilat jediaim) und das traditionelle Brotsegnen am Schabbat-Abend (kiddusch) ... viele Singles sind nicht sehr religiös.

Dennoch ist den meisten die Religion immerhin so wichtig, dass sie wissen: Einen jüdischen Partner wollen sie schon haben. Manche kriegen Druck von ihrer Familie: Das jüdische Volk muss weiterleben, gerade in Europa, wo es fast ausgerottet wurde. Eine Heirat mit einem Nichtjuden „würde Hitler helfen“, hat Rachel* von ihrem Vater gehört – doch davon, sagt sie, habe sie sich frei gemacht. Dennoch: Es soll ein Jude sein. Das ist ein Problem, denn bundesweit gibt es gerade mal etwa 100.000, in ganz Europa sind es nur wenige Millionen. Wer da jemand Passendes mit demselben Gebetbuch kennen lernen will, muss Glück haben.

Früher wurden viele Ehen zwischen Juden per „matchmaker“ arrangiert. Das machen heute nur noch wenige. Immerhin gibt es noch die Tradition des „schidduch“. Das sind organisierte Treffen zweier Singles, denen man nicht verheimlicht, weswegen man sie zusammenführt. Aber wo die Masse fehlt, helfen auch diese Rendezvous nicht weiter.

Gadys Job ist also nötig, zumal die Gemeinden für Junge und Alte viele Möglichkeiten des Zusammenkommens anbieten – für die mittlere Generation mit Beruf aber oft nur wenig: Man bleibt leicht allein, wenn man nicht dauernd in die Synagoge geht.

Genau das aber sieht das Programm an diesem Wochende verdammt oft vor. Am Samstag morgen ist wieder ein Gottesdienst eingeplant, danach erneut kiddusch mit Gebeten in der Gemeinde und noch mehr unbekannten Gesichtern – und erst um 17 Uhr sitzten die Singles wieder alle zusammen. Es geht um die Arbeit des Jüdischen Kulturvereins und danach um ein geplantes Netz von Single-Gruppen in ganz Europa. Da platzt einem grau melierten Züricher vor allen Singles in großer Runde der Kragen: Er habe doch insgesamt an die 1.000 Franken gezahlt – und dafür habe er jetzt die letzten 12 Stunden allein verbracht. Planungsfehler! In die Synagoge wollte er nicht schon wieder gehen, das könne er auch zu Hause. Fast alle Singles stimmen dem Schweizer zu – Gady verteidigt sich hilflos. „This is plain bullshit“, kriegt er zu hören.

Dann wird es Abend, der Schabbat ist endlich vorbei. Die Singles nehmen in einem orientalischen Restaurant an langen Tischen zum Dinner Platz. Es gibt köstlichen Lachs. Eine Bauchtänzerin lockert die Stimmung. Keine Gebete mehr, keine Rabbi-Rede. Der Züricher ist der erste, der eine Partnerin zum Tanzen gefunden hat. Das jüdische Single-Treffen ist doch nicht an zu viel Judentum gescheitert.

*Name von der Redaktion geändert