„Wir bleiben lieber unter uns“

Junge Türken vermeiden den Kontakt zu Deutschen: Sie wollen sich nicht andauernd erklären

Auch an den Schulen halten sich überwiegend Deutsche und Türken unter sich auf

Wie an jedem Nachmittag hat sich Cemal Kilic (59) in das türkische Männercafé in der Adalbertstraße in Berlin-Kreuzberg begeben. Seit knapp drei Jahren ist Kiliç, nach jahrelanger harter Arbeit auf dem Bau, Frührentner. Das bedeutet für ihn viel Freizeit, die er ausschließlich mit Landsleuten in einem türkischen Männercafé verbringt. Es wird Tee getrunken und Tavla gespielt. Für Kiliç und die anderen, die am Tisch sitzen und dem Spiel aufmerksam zuschauen, ist das Männercafé der einzige Ort, wo sie sich regelmäßig treffen.

In all den Jahren hat Kiliç den Kontakt zu Deutschen, soweit es geht, vermieden. Von Freundschaften mit Deutschen will er nichts hören. „Nein“, sagt er, „Freundschaften mit Deutschen habe ich weder jetzt, noch habe ich sie in all den Jahren gehabt.“ Für seine Arbeitskollegen wäre er ohnehin immer nur der Einwandererkumpel aus Anatolien gewesen.

„Viele Ausländer der ersten Generation sind aufgrund ihrer mageren Sprachkenntnisse den Deutschen aus dem Weg gegangen“, meint die Psychologin und Sozialarbeiterin Birgit Rommelspacher. Als weiteren Grund für den mageren Kontakt sieht sie, „dass sie sich als „Gäste auf Zeit gesehen haben“ und sich insofern meist unter sich aufhielten.

Aber auch eine große Anzahl der in Deutschland geborenen und aufgewachsenen türkischen Jugendlichen bewegen sich ausschließlich in einem türkischen Umfeld. Nach drei Jahrzehnten schleichender Integration schließen sich eine große Anzahl der Kindeskinder der Devise der ersten Generation an: „Kein Kontakt zu Deutschen in der Freizeit.“ Die so genannte dritte Generation hat sich eine eigene Welt geschaffen. Eine Welt, in der nur mit Landsleuten verkehrt wird. Die zahlreichen türkischen Clubs und Diskotheken in jeder größeren deutschen Stadt sind ein Indiz und ein willkommenes Forum dafür.

Es ist zwei Uhr, Samstagnacht. In der türkischen Disco „Limon“ in Berlin-Charlottenburg dröhnen keine amerikanischen HipHop-Songs oder wilde Techno-Beats aus den Lautsprechern, sondern türkische Popmusik. Wie die Studentin Hülya S. (24) und ihre Freundinnen haben sich einige hundert zumeist junge Türken hier versammelt. Es wird getanzt und gefeiert. Dass Hülya S. und ihre Freundinnen, die der dritten Generation angehören, sich vorwiegend in einer türkischen Disko oder einem Club aufhalten, hat seine Gründe. „Wo sollen wir auch sonst hingehen?“, fragt Hülya S. „Hier sind wir wenigstens unter uns.“ Unter uns heißt für Hülya S. unter Türken, denn nur unter ihnen fühle sie sich verstanden. Sie hat, wie auch ihre türkischen Freundinnen, keinen innigen Kontakt zu Deutschen. „Nur oberflächlich“, sagt die Studentin Melek I., eine der Freundinnen von Hülya S. In der Universität grüße sie die eine oder andere deutsche Kommilitonin und es werden ein paar Worte gewechselt. „Mehr nicht.“ Das war nicht immer so. „Früher“, erzählt sie, „hatte ich deutsche Freundinnen, mit denen ich mich sehr gut verstanden habe.“ Mit der Zeit sei der Kontakt jedoch völlig verloren gegangen. „Es ist mir einfach zu anstrengend“, meint sie. Sich immer wieder rechtfertigen zu müssen zerre an ihren Nerven. „Bei uns ist das einfach so“, lautet einer der häufigsten Sätze, mit denen sie sich rechtfertigt. Zum Beispiel dafür, dass sie mit 23 Jahren immer noch bei ihren Eltern lebt und das Haus erst dann verlässt, wenn sie heiratet. Oder dass sie vor der Ehe keinen Sex haben darf. Ihre deutschen Freundinnen hätten es ohnehin nicht verstanden, erzählt sie, und ihre türkischen Freundinnen nicken zustimmend.

„Der fortwährende Rechtfertigungsdruck ist ein Hauptgrund, warum Freundschaften zwischen Türken und Deutschen nicht lange anhalten“, sagt Rommelspacher. Vor allem türkische Mädchen würden sehr darunter leiden. „Das Infragestellen der eigenen kulturellen Werte bringt sie in einen Konflikt, wo sie sich fortlaufend mit der Frage auseinander setzen müssen: Was ist die Norm?“

Nicht nur in der Freizeit tun sich Deutsche und Türken selten zusammen. Auch an den Schulen halten sich generell Deutsche und Türken unter sich auf. Eine aktuelle Studie an den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen hat ergeben, dass eine enorm geringe Anzahl von deutschen Grundschülern der Aussage: „Mein bester Freund ist ein Türke“ zugestimmt haben. „Türkische Jugendliche suchen mehr Kontakt zu den Deutschen als umgekehrt“, sagt Rommelspacher. Der Grund, warum es dennoch nicht funktioniert, liegt ihrer Ansicht nach an den Erziehungsmethoden der Eltern der deutschen Kinder. „Die eigenen Vorurteile gegenüber Ausländern werden den Kindern weitergegeben. Die Fremdheit ist für sie ein Hauptargument.“

Der 23-jährige Sinan Altin kann davon ein Lied singen. „Ich verstehe die Deutschen nicht“, sagt er. Er erzählt von seiner deutschen Ex-Freundin, mit der er zwei Jahre eine Beziehung führte. „Probleme über Probleme“, konstatiert er heute. Die Eltern seiner ehemaligen Freundin waren dagegen, dass sie mit einem Türken eine Beziehung führt. „Irgendwann hat sie den Druck ihrer Eltern nicht mehr ausgehalten und wir haben einen Schlussstrich gezogen“, sagt er nachdenklich.

Die Devise der ersten Generation: Kein Kontakt zu Deutschen in der Freizeit

Sinan möchte diese Spannungen jedoch nicht auf die unterschiedlichen Mentalitäten reduzieren. „Das war ein klarer Fall von Rassismus“, sagt er. Inzwischen hat er seit knapp einem Jahr eine neue Liebe gefunden. Eine Türkin. „In zwei bis drei Jahren wird geheiratet.“

SÜLEYMAN ARTIISIK