KÜNFTIG OHNE GYSI UND BISKY: PDS IST IN EINER FUNDAMENTALEN KRISE
: Kopflos und unberechenbar

Die Parteispitze der PDS hat gegen ihre Basis beim Münsteraner Parteitag eine schwere Niederlage erlitten. Spitzengenossen wie Gregor Gysi, wie Helmut Holter, PDS-Superminister in Mecklenburg-Vorpommern, und wie Vordenker André Brie wünschten sich vom ersten Parteitag im Westen dringend realpolitische Optionen. Die Delegierten aber haben dieses Signal für die Koalitionsfähigkeit einer modernen sozialistischen Organisation links neben der SPD mit sehr deutlicher Mehrheit abgelehnt.

Für diese These des „Unten gegen Oben“ spricht einiges. Zuallererst das Ergebnis der wichtigsten Abstimmung von Münster. Als die Spitzenfunktionäre, angeführt von Bundestags-Fraktionschef Gysi sich zumindest das wünschten, was ihnen die Verfassung ohnehin garantiert, verloren sie klar: 219 stimmten dafür, dass die PDS prinzipiell und immer gegen UN-Einsätze zu sein habe. Und zwar egal, wo und warum die internationale Gemeinschaft Truppen zur Friedenserhaltung entsendet. Nur 126 Delegierte wollten Gysi und seinen Fraktionskollegen zubilligen, dass sie sich auch eine eigene Auffassung zu Interventionen auf der Grundlage von Beschlüssen der Vereinten Nationen bilden dürfen. Das ist tatsächlich ein Politikverbot – noch dazu eines, das auf unangenehme Weise mit dem Grundgesetz kollidiert. Jeder frei gewählte Abgeordnete ist nun mal seinem Gewissen verpflichtet. Dies hat der PDS-Parteitag nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Doch die These vom „Aufstand der Basis“ beschreibt nur unzureichend, was in Münster wirklich geschehen ist. Die PDS ist in einer weitaus komplizierteren Situation. Sie hat sich zwar, wie viele demokratische Sozialisten stolz bemerken, durch eine zehn Jahre währende Phase der Ignoranz, der Vorurteile und der Anfeindungen durchgekämpft. Die Partei rangiert mittlerweile relativ stabil bei einem demoskopischen Zuspruch von etwa sieben Prozent in Gesamtdeutschland. Aber Münster hat eben auch den wahren Zustand der PDS offen gelegt: Die Partei ist ideologisch zersplittert, sie ist desorganisiert und sie unterliegt bei wichtigen Fragen stets der Gefahr, dass sich die Repräsentanten ihrer widersprüchlichen politischen Soziologie zu Zufallsmehrheiten zusammenschließen. Kurz: Die PDS ist unberechenbar.

Zunächst etwa nahm die PDS mit großer Gelassenheit den Rückzug ihres Integrators Lothar Bisky auf – um danach ziemlich kopflos über „Krieg und Frieden“ zu diskutieren. Diese pauschale Debatte hatte nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun. Im Antrag des Vorstands ging es um den beinahe singulären Fall, was zu tun wäre, wenn die UNO wirklich zu Recht einen Völkermord verurteilt und daher militärische Interventionen in die Wege leitet. Statt sich mit diesem möglichen Einzelfall zu beschäftigen, ließ sich die PDS in Münster die generelle Fragestellung von „Krieg oder Frieden“ aufzwingen. Durchgesetzt haben sich am Ende ausgerechnet die wenigen Hamburger Delegierten und die vielen mit Rederecht ausgestatteten Gäste aus der Hansestadt. Sie durften über „ihren“ Abstimmungssieg jubeln, obwohl jene Hamburger bei der Mehrheit der PDS-Delegierten aus dem Osten normalerweise außer Brechreiz wenig auslösen. Für eine Partei, die sich derartig an der Nase herumführen lässt, stellt sich nicht die viel beschworene Frage, ob sie etwa regierungsfähig wäre. Es bestehen erhebliche Zweifel an ihrer Parteitagsfähigkeit: ob die PDS rational nachvollziehbar und Gewinn bringend wichtige Themen diskutieren und Beschlüsse fassen kann. Davon konnte jedenfalls in Münster keine Rede sein.

Ironischerweise hat der Münsteraner Konvent eindrucksvoll vorgeführt, was mancher kluge Sozialist sich bislang nur hinter vorgehaltener Hand zu sagen traute: dass der amtierende Parteivorstand vollkommen überfordert ist. Er hat diesen Parteitag zu verantworten: Er hat einen Leitantrag formuliert, der keine Mehrheit fand.

Gregor Gysi war es, der eine Professionalisierung der Parteispitze gefordert hatte. Die Partei weigerte sich jedoch, ihrem Promi zu folgen und Konsequenzen zu ziehen. Nun zieht Gysi selbst die Konsequenzen und kehrt der Bundestagsfraktion ab Herbst den Rücken. Eine PDS ohne Gregor Gysi, den mit Abstand bekanntesten und beliebtesten Politiker, den sie hat, ist bei aller demoskopischen Zuversicht allerdings derzeit noch nicht denkbar.

CHRISTIAN FÜLLER