Mafiosi verurteilt, aber siegreich

Ein italienisches Gericht hat 29 sizilianische Mafiabosse wegen des Mordes an dem populären Richter Giovanni Falcone zu lebenslanger Haft verurteilt. Der politische Einfluss der Verbrecherorganisation wird dadurch nicht geschmälert

aus Rom MICHAEL BRAUN

„Ein historisches Urteil“, kommentierte Staatsanwalt Luca Tescaroli knapp den Spruch des Appellationsgerichts von Caltanissetta. Das italienische Gericht hatte am Freitag in zweiter Instanz 29 Mafiabosse als Mörder des Richters Giovanni Falcone zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Damit verschärfte es die Urteile der ersten Instanz, die nur in 24 Fällen auf Lebenslang gelautet hatten.

Von Totò Riina über Bernardo Provenzano, Leoluca Bagarella und Pippo Calò zu Pietro Aglieri fehlt auf der Liste der Verurteilten keiner der Cosa-Nostra-Chefs, die Anfang der Neunzigerjahre in Mafiakreisen die Fäden in der Hand hielten. Der Bombenanschlag auf der Autobahn vor den Toren Palermos, dem am 23. Mai 1992 Falcone, seine Frau und seine drei Begleitschützer zum Opfer fielen, gehörte zu den spektakulärsten Verbrechen in der Geschichte der Mafia.

Das Blutbad war einerseits die Abrechnung mit jenem Richter, der in den Achtzigerjahren mit Hilfe des Kronzeugen Tommaso Buscetta die Organisationsstrukturen der sizilianischen Cosa Nostra aufgedeckt und hunderte Mafiosi hinter Gitter gebracht hatte. Doch der Mafia ging es um mehr: um eine offene Kriegserklärung an den italienischen Staat, der das alte schiedlich-friedliche Nebeneinander von Politik und Cosa Nostra nicht mehr respektierte. Anschlag folgte auf Anschlag: Im Juli 1992 wurde Falcones Kollege Paolo Borsellino Opfer einer Bombe. 1993 zündeten Mafiosi Sprengsätze in den Stadtzentren von Rom, Mailand und Florenz.

Das Gericht von Caltanissetta geht mit dem jetzt gefällten Urteil davon aus, dass die militärische Strategie der Cosa Nostra zentral von der „Cupola“, dem von Totò Riina geleiteten Führungsorgan der Mafia, koordiniert war. Die Kammer stützte sich auf die Aussagen von Kronzeugen, insbesondere auf das Geständnis Giovanni Bruscas, der das Mordkommando gegen Falcone angeführt hatte. Damit wird den aussagebereiten Mafiosi volle Glaubwürdigkeit bescheinigt. Dies ist ein wichtiges Signal zu einer Zeit, in der viele Politiker und Meinungsmacher eine Schlammschlacht gegen Kronzeugen führen, und in der das Parlament Neuregelungen verabschiedet, die den Schutz für geständige Mafiosi drastisch reduzieren.

Zugleich aber ist das Urteil von Caltanissetta ein Signal der Machtlosigkeit. Zwar sprach Staatsanwalt Tescaroli in seinem Schlussplädoyer von den weiter reichenden politischen Absichten der Mafia, die hinter dem Anschlag auf Falcone standen. Er nannte explizit die „Komplizenschaft korrupter Sektoren der staatlichen Institutionen, der Politik und der Wirtschaft“ sowie die Absicht dieser Kreise, im Verein mit der Mafia „den Angriff gegen den Staat vorzutragen, um die Voraussetzungen für das Entstehen neuer politischer Konstellationen zu schaffen“.

Doch wie immer wurde auch in dem jetzigen Verfahren nur der militärische Arm der Mafia abgeurteilt. Die Komplizen, die Hintermänner aus Politik und Wirtschaft, blieben ohne Namen und Gesicht. Es ist ein bizarrer Zufall, dass das Urteil gegen die Falcone-Mörder in der gleichen Woche erging, in der Falcones Kronzeuge Tommaso Buscetta starb. Kurz vor seinem Tod bilanzierte Buscetta die Resultate des Kampfs gegen die Cosa Nostra in einem Buch. Der Titel: „Die Mafia hat gesiegt“. An dieser bitteren Bilanz ändert das Urteil von Caltanissetta nichts.