„Mehr Zwang“

Die Gynäkologin Regina Lutterbeck ist gegendie Einführung der Präimplantationsdiagnostik

taz: Was spricht gegen die Einführung der Präimplantationsdiagnostik (PID), des Gen-Checks bei Retortenembryos?

Regina Lutterbeck: Hauptsächlich spricht dagegen, dass aus der Möglichkeit, diese Diagnostik anzuwenden, im Laufe der Zeit ein immanenter Zwang für die Frauen werden wird. Das kennen wir von den Fruchtwasseruntersuchungen, die immer mehr ausgeweitet wurden und von vielen Frauen nicht mehr als Angebot, sondern als Verpflichtung wahrgenommen werden.

Ist PID das Einfallstor zur genetischen Selektion in Richtung optimiertes Wunschkind?

Anfangs wird die Methode relativ aufwendig sein, so dass Massen- oder Regeluntersuchungen nicht möglich sind. Sicherlich aber wird die Toleranz gegenüber behinderten Menschen deutlich abnehmen, weil sich das Gefühl breit machen wird, das hätte ja verhindert werden können.

Die Befürworter argumentieren mit dem Wunsch von Eltern, die die Anlage zu schweren Krankheiten haben, gesunden Nachwuchs zu bekommen. Haben Sie kein Verständnis für die Sorgen dieser Eltern?

Ich kann jede Frau verstehen, die Angst hat vor einem behinderten Kind, und ich würde nie sagen, dass diese Angst abwegig ist. Es ist aber die Frage, ob wegen der Befürchtung Einzelner eine Diagnostik etabliert werden sollte, die erhebliche gesamtgesellschaftliche Veränderungen nach sich ziehen wird. Man muss ja sagen, dass die Wünsche und Ängste, die Schicksale dieser Eltern von den Befürwortern der Technik benutzt werden. Für die 50 bis 100 Paare, die nach Angaben der Bundesärztekammer jährlich in Frage kommen, rechnet sich die PID überhaupt nicht.

Gehen Sie deshalb davon aus, dass die Anwendung der Technik, ist sie einmal einführt, ausgeweitet werden wird?

Ich bin mir sicher, dass in einigen Jahren die Diagnostik nicht mehr auf die ganz wenigen schweren Fälle von Erbkrankheiten beschränkt sein wird.

Sollte PID verboten werden?

Ich will diese Technik nicht, aber ich fürchte, man kann sie nicht verbieten. Zunächst brauchen wir eine breite gesellschaftliche Diskussion. Es kann nicht sein, dass eine solche Technik nur im Expertenkreis diskutiert werden. Und dabei muss Klartext gesprochen werden. Denn bei PID geht es um den Zugang zu Embryos, um Forschung und um ganz viel Geld.

interview: SABINE AM ORDE

Hinweis: Regina Lutterbeck ist niedergelassene Gynäkologin und Mitglied der Ethikkommission der Ärztekammer