Die Sozialisten im Machtvakuum

Halbherziger hat Gregor Gysi selten geklungen. Er befürchte nicht, dass er ein Machtvakuum hinterlasse, rief der scheidende PDS-Fraktionschef den verblüfften Delegierten des Münsteraner Parteitages zu. Erst am Tag danach ist der PDS wirklich bewusst geworden, dass seit dem Wochenende von Münster das Gegenteil der Fall ist. Mit ihren Frontmännern Gregor Gysi und Lothar Bisky hat die PDS nicht nur ihre Spitzenpolitiker, sondern auch die Orientierung verloren.

Nun muss die Partei plötzlich der Möglichkeit eines personellen und programmatischen Neustarts ins Auge sehen: Nach der Niederlage der Vorstandsmehrheit in der Debatte um eine Einzelfallprüfung von UN-Einsätzen stellt sich nicht nur die Frage nach möglichen Nachfolgern für die Integrationsfigur Bisky und den Rhetoriker Gysi, sondern auch nach der innerparteilichen Basis für den Kurs der bisherigen Führung auf die politische Mitte.

Bisher gibt es auf diese Fragen in der PDS keine zufriedenstellenden Antworten. Die Berliner Landesvorsitzende Petra Pau, die neben Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch als mögliche Nachfolgerin für den Parteivorsitz gehandelt wird, sieht ihre Partei bereits in Gefahr, „ihre Politikfähigkeit zu verspielen“. In ihren Augen hat die „revolutionäre Erweckungsmesse“ von Münster die PDS stark angeschlagen. Tatsächlich hat die Führungskrise die PDS völlig unerwartet getroffen. Zu siegessicher war die Parteiführung im Vorfeld, dass die Basis auch eine Einzelfallprüfung von UN-Militäreinsätzen und damit die Orientierung auf die Koalitionsfähigkeit auf Bundesebene mittragen würde.

Mit der Abstimmungsniederlage der Reformer sind gleichzeitig die potenziellen Erben schwer beschädigt worden. Als Indiz dafür mag dienen, dass die stellvertretende Parteivorsitzende Sylvia-Yvonne Kaufmann dem Kronprinzen Bartsch die Worte „Dietmar, bleib doch“ hinterher rief, weil dieser nach der Abstimmungsniederlage verärgert den Saal verlassen hatte.

Besonders für Bartsch ist die Palastrevolte von Münster eine schwere persönliche Niederlage. Als Bundesgeschäftsführer war er an entscheidender Stelle für die gescheiterte Parteitagsregie verantwortlich. Dass ausgerechnet der Polarisierer Bartsch jetzt Lothar Bisky als Parteivorsitzenden beerben könnte, gilt in Parteikreisen als unwahrscheinlich.

Auch die Landesvorsitzende Pau steht mit ihrer Kandidatur vor ähnlichen Problemen. Zwar ist die im Auftreten eher versöhnliche Pau weit davon entfernt, mit plakativen Aussagen die Parteilinke vor den Kopf zu stoßen. Doch in der Sache stand Pau in der Vergangenheit stets an der Seite der Reformer Bisky und Gysi. Erschwerend kommt die Befürchtung aus Vorstandskreisen hinzu, dass es der Berlinerin an Charisma mangele. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Landesvorsitzenden aus Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter. Seinen Ansprachen an die Basis wird die „Emotionalität eines Aktenkoffers“ nachgesagt – selbst sein eigener Landesvorstand stimmte am Wochenende mehrheitlich gegen ihn.

In PDS-Kreisen schließt man auch eine Überraschungskandidatur nicht mehr aus. Sicher ist nur eines: Eine Bewerbung der stellvertretenden Vorsitzenden Kaufmann, die mit ihrer Rede am Samstag das Scheitern des Gysi-Flügels eingeleitet hatte, gilt bisher als unwahrscheinlich.

Faxe jedoch, in denen sie zur Kandidatur um den Vorsitz aufgefordert wurde, hätte die Europaabgeordnete am Montag in ihrem Berliner Büro mehr als genug erhalten. ANDREAS SPANNBAUER