herr hefele kriegt zwei minuten
: Die Unmöglichkeit des Grübelns an einem Frühlingstag

ALLES EINE BAGAGE

Menschen sind auch bloß Viecher, da beißt die Maus keinen Faden ab. „Was sagst du, Ulla?“ (Beiseit gesprochen: „Ulla ist diese eine treue Leserin. Meine treue Leserin. Sie verpasst keine Kolumne. Sie sammelt jede meiner Kolumnen. Vermutlich. Ulla ist jedenfalls voll in Ordnung.“) Also: „Was sagst du, Ulla? ... Bitte? ... Eben.“ Ulla gibt mir Recht, was sollte sie auch sonst tun? Natürlich ist dieser mein Ausruf nix Neues, sondern lediglich eine in Zyklen wiederkehrende, mich je nach Lage der Dinge tröstende oder traurig zurücklassende Erkenntnis. Menschen sind auch bloß Viecher. Am Wochenende überfiel mich die negative Variante dieser Erkenntnis mit brutaler Wucht. Sinnigerweise gerade da, als ich dem nachgehen wollte, was uns angeblich präzise vom Tier unterscheidet. Ich wollte nämlich denken; ich hatte Lust zu grübeln. Grübelnd wollte ich an der Donau entlangschlendern und den Tieren des Flusses zusehen. Ente, Schwan und Möwe. Wie sie sich im Taumel des Frühlings jagen und necken würden. Beziehungsweise ihren – uns minder wichtig erscheinenden Geschäften nachgehen ... nachfliegen? Grübeln und Schlendern. Nein. Schlendern ist falsch. Schreiten ist richtig. Grübelnd schreiten. Um so dem Leben und all seinen Spielarten und Eitelkeiten auf die Spur zu kommen, um diese dann im Rahmen der Kolumne anzuprangern und zu geißeln und die eitle Maske von dero Fratze zu reißen. So.

Wo war ich? Richtig: grübelnd an der Donau schreiten. Dieses Wochenende war strahlend schön. An der Donau schon gar, und ich freute mich und spielte sogar mit dem Gedanken, ein Gedichtbändchen mit mir zu führen, um wichtig zu tun. Ich ließ es aber dann bleiben und hub lediglich an zu schreiten. Das heißt: Ich wollte schreiten, ich wäre gerne geschritten. Aber es war unmöglich. An diesem ganzen strahlend schönen Vormittag schritt ich vielleicht zwölf Minuten. Ansonsten musste ich an einem Stück hüpfen und steppen und tänzeln und springen. Warum? Um das nackte Leben zu bewahren! Um nicht ins Wasser geschleudert bzw. gegen einen Baum gerammt zu werden.

Lachen Sie nicht. Die ganze liebe, lange Donau war nämlich gesäumt – und zwar Meter für Meter! – von Wegelagerern und potenziellen Körperverletzern. Die sich natürlich nicht für Wegelagerer und Körperverletzer halten, sondern ganz im Gegenteil für äußerst wertvolle Mitglieder der Gesellschaft. Angehörige des sporttreibenden Volkes! Inline-Skater. Biker. Jogger. Walker. Alle sonnengierig wie nur was und mit den Energien ausgestattet, die sie während eines langen Winters aufgespeichert hatten und wild entschlossen, alles an diesem einen Vormittag wieder aufzuholen und rauszulassen. Am Ufer der Donau. An ihrer Donau. Wozu schließlich könnte es die Donau sonst noch geben, als um an ihren Ufern Sport zu treiben? Der Sporttreibende möchte schließlich nicht nur seinen Körper ertüchtigen, er möchte dies auch in reizvollem Ambiente tun. Wäre ja noch schöner.

Und so ziehen alle, alle ihre Bahn. Mit diesem leicht ungeduldigen und etwas verdrossenen Gesichtsausdruck, der da spricht: „Was fahrt bzw. steht ihr mir hier im Wege herum? Seht ihr denn nicht, dass ich dabei bin, Sport zu treiben?“ Und die Skater finden die Radler uncool und die Radler die Jogger und Walker doof, und alle miteinander finden die am allerdoofsten, die bloß schreiten, ohne auch nur einen Tropfen Schweiß zu vergießen. Also mich. Jedenfalls ein Geklingele und ein Gerollere und ein Gerenne, dass den Enten die Schnäbel offen geblieben wären. Wenn sie denn geguckt hätten.

Haben sie aber nicht, denn sie sind keinen Deut besser, und so war auch auf dem Wasser der Teufel los. Erpel jagt Ente. Schwan knotet seinen Hals mit irgendjemand. Möwen, die herumflattern, als hätten sie weiß Gott wie wichtige Termine. Hätten jene auch noch Sonnenbrillen getragen und Baseballkappen und Reebock-Shirts und Laufschuhe – keiner hätte den Unterschied gemerkt zwischen Menschen- und Tierwelt.

Und ich, der ich nur grübeln und schreiten wollte, mittenmang hüpfend und tänzelnd und meine oben erwähnte Erkenntnis ein ums andere Mal benickend: alles eine Bagage.

Autorenhinweis:

Albert Hefele, 48, ist Ergotherapeut und schreibt über die fundamentalen Dinge des sportlichen Lebens. Heute: Viecher