Nagende Zweifel am Gewerbegebiet

Unsichtbare Feldhamster stören ein EU-Modellprojekt. Naturschutzbund zeigt Aachens Oberbürgermeister wegen „Hamstertötens“ an. Lokalkonflikt, europaweiter Präzendenzfall – oder weiße Mäuse?

AACHEN taz ■ Der Konflikt verlangt differenzierte Betrachtung. Seine Ursache ist klein und hat ein geschecktes Fell: Cricetus cricetus, der Feldhamster. Ungleich größer ist der Streit. „Das ist kein Lokalkonflikt.“ Professor Michael Stubbe, einer der seltenen Feldhamsterexperten, nimmt die Backen voll. „Das wird ein Präzedenzfall für die gesamte EU.“

Wo Stubbe die Globalität der Hamsterfrage ausmacht, sehen Stadtobere aus Aachen und dem niederländischen Heerlen bereits ihre Felle davon schwimmen. 33 Millionen Euro haben sie schon in ein 100 Hektar großes, grenzüberschreitendes Gewerbegebiet namens Avantis investiert. Dem EU-Modellprojekt sollte es an nichts mangeln. Dennoch hagelte es pünktlich zum ersten Spatenstich im Jahr 1998 Proteste. Umweltschützer des Naturschutzbundes (Nabu) hatten in der Nähe des Gewerbeparks Hamsterbaue ausgemacht. Zwar wurden die Nager bisher nicht gesichtet, aber beim Nabu wusste man gleich, dass hier gegen europäisches Umweltrecht verstoßen wurde. Merke: Wo ein Bau, da auch ein Hamster.

Eilfertig zog Avantis Konsequenzen: Teile des Gewerbegebietes sollen „hamstergerecht“ bewirtschaftet werden. Doch der Nabu überschwemmte Avantis mit Klagen und Einwänden. Abgewiesen wurde eine Anzeige wegen Hamstertötens gegen Aachens Oberbürgermeister. Hier gab’s eine „artenschutzrechtliche Befreiung“, dort einen Baustopp. Nun sorgt ein Gutachten, dessen Inhalte noch niemand kennt, für nagende Zweifel. Die EU-Abgeordnete Margot Kessler drückte ihr Erstaunen in einer dringenden Anfrage an das Europäische Parlament aus: Ob „ein Einspruch des Nabu, bearbeitet und bewertet durch ein Mitglied des Nabu und in Auftrag gegeben auf Vorschlag eines Mitgliedes des Nabu“ dem „Grundsatz der Unbefangenheit“ entspreche? Aachens OB nämlich hatte herausgefunden, dass offensichtlich alle am Gutachten Beteiligten eine Nabu-Mitgliedschaft in der Tasche hatten.

Unterdessen hat wenigstens einer gut lachen: Cricetus cricetus, der Feldhamster. Falls es den Racker wirklich gibt. Denn gesehen hat ihn noch niemand. Auch dem Gutachter dürfte es schwer gefallen sein, seine Nager zu entdecken. Im frostigen Winter soll er auf Pirsch gewesen sein – wenn ein jeder Winterruhe hält. Da muss auch ein Feldhamsterexperte schon sehr differenziert hinschauen. ANDREA SCHNEIDER