Ein Held unserer Zeit

von DETLEF KUHLBRODT

Echtheit und Falschheit sind die Grundbegriffe im längsten Spielfilm der Welt, „Back to Basics“ heißt es im Vorspann. „Leb, wie du dich fühlst“, singt die HipHopband „Dritte Generation“. Sei, wie du bist. Das geht nicht mehr im normalen Leben, das wohl das falsche sein muss, sondern nur in der Simulation des echten Lebens im falschen.

„Zlatko ist echt. Vielleicht werden die anderen Bewohner des Big-Brother-Hauses in Köln-Hürth ja auch noch echt. Es bleibt ja noch ein bisschen Zeit, sagte „Motivationstrainer“ Dieter Höhner am letzten Sonntag. Höhner gehört zu der Riege zwielichter Experten, die jeden Sonntagabend bei „Big Brother“-Plastikmoderator Percy Hoven zu Gast sind. Auch Herr Bartel, ein unglaublich zynischer „Astropsychologe“, der die Eingeschlossenen mit sardonischem Grinsen aus der Rattenforscherperspektive zu beurteilen pflegt, lobte den ersten Star der täglichen „Big Brother“-Sendung auf RTL 2: Mit der Zeit sei er „zum Manne gereift“. Manuela dagegen, ein ehrgeiziges Girlie und Hauptfeindin von Zlatko, sei „unechtes Leben“.

Zlatko also, der videospielverrückte Schwabe makedonischer Abstammung, der in seinem Leben noch kein Buch gelesen hat, ein 24-jähriger, arbeitsloser Industriemechaniker, wie es überall hieß. Noch vor einem Monat, als die von RTL 2 auf 100 Tage angelegte Reality-Soap gerade angelaufen war, hatte ihn der Theatermacher Christoph Schlingensief als „einen der übelsten und brutalsten Typen“ beschrieben, „die ich jemals kennen gelernt habe“. Mittlerweile ist Zlatko ein Star. Wochenlang führte der schlichte, kräftige junge Mann die „Big Brother“-Sympathietabellen im Internet an, wurde bei Viva, Bild, Bravo und Stern als Trashheld gehypt. Längst gibt es T-Shirts mit dem Konterfei von „The Brain“ und „Zlatko for President“ oder einfach nur „Shakespeare?“.

Shakespeare war Zlatkos medialer Durchbruch. Zuvor sprach Zlatko, der vielleicht ein bisschen reinlicher ist als die anderen, zwar schon sehr ausführlich über seine Verdauungsvorgänge – übers Scheißen halt, über die kurzen Momente zwischen zwei Würsten etwa, Bremsspuren und solche Dinge – mit der Genauigkeit eines souveränen Schriftstellers. Zuvor imponierte er zwar schon durch unermüdliches Krafttraining, aber erst seine offensiv vorgetragenen Bildungslücken machten ihn zum „Kult“. Vor allem, dass er nicht wusste, ob es sich bei Shakespeare nun um einen Schauspieler oder einen Regisseur handelt, und dass er auf die Frage einer Mitbewohnerin, ob er denn nicht „Romeo und Julia“ kenne, sich nur an die Videokassette erinnerte, die er in seinem Schrank stehen hat. Diese Kassette mit dem „Deppengeschwätz, wo ich nach zehn Minuten keinen Bock mehr hatte. Was die für'n Scheiß da labern . . .“

Das war toll, „denn Shakespeare ist nicht das reale Leben, das reale Leben heißt Zlatko“ („Big Brother“-Zeitung). Das ist richtig, oder kennt jemand einen Jugendlichen, für dessen Leben Shakespeare eine größere Bedeutung hat? Weitere kleinere Ignoranzen trugen Zlatko den Ehrentitel „The Brain“ (Stefan Raab) ein. Was Hetero-, was Homosexualität ist, wusste er nicht. Davon, dass es Menschen gibt, die Häuser besetzen, wie sein Mitbewohner John, hatte er zuvor nie gehört, und auch Marius Müller Westernhagen war ihm kein Begriff.

Erfrischend fanden viele die Direktheit, mit der Zlatko etwa traditionelle Werte im Geschlechterverhältnis vertrat. Vor allem sein von keinerlei Zweifeln angekränkeltes, aggressives Selbstbewusstsein verstärkte seinen Ruhm. Und dass er so lustige Grimassen schneiden kann und dass er sich wünschte, so zu sein wie Lady Di, um den „niederen Menschen“ zu helfen, und dass er dann sagt, er sei nicht am „Spiel“ und seinen Mitbewohnern im „Big Brother“-Projekt interessiert, sondern ausschließlich am Geld, mit dem er seiner Mutter ein Haus bauen wolle.

„Ich bin hier reingekommen und hab gedacht: alles Arschlöcher.“ Außer über Jürgen, jenen rheinischen Feinblechner, dessen Freundschaft er im „Big Brother“-Haus fand und der zeitweise so wirkte wie sein sorgender Trainer, redete er schlecht über jeden seiner Mitbewohner und wirkte in der letzten Woche wie ein Boxer vor dem Entscheidungskampf – der in diesem Fall von seinen Fans an den Telefonen verloren wurde, obgleich sich der Medienhype, den man um Zlatko trieb, in den letzten zwei Wochen ins Groteske gesteigert hatte: Der Stern widmete dem „Dummbatz der Nation“ eine humorige Fakeseite, die Berliner B.Z. veröffentlichte in sechs Folgen seine besten Sprüche, RTL 2 stellte „Zladdi“, „Zladi“ resp. „Sladdi“ in den Mittelpunkt der allabendlichen „Big Brother“-Sendung.

Mit der Internetseite „www.rettetzlatko.de“ bemühte man sich, den singenden Schelm (Mendocino, Lady in Black, Help) zu unterstützen. Denn „Zlatko gehört zum deutschen Kulturgut“, „Zlatko ist einfach kultig und steigert die deutsche Unterhaltung um ein Vielfaches!“, „Zlatko hat Kultcharakter und muss errettet werden“. Für die Internetseite verantwortlich waren der Münchner Lokalradio-„Moderator, Sprecher und Warmupper“ Matthias Biehler, der Herausgeber der Münchner Singlezeitung Want you, Alfred Trekamp (alias „Jürgen“), und ein Veranstaltungsmanager mit dem lustigen Namen „Dado D. T.“

Im viel besuchten Gästebuch der Internetseite erfuhr man, dass die Zlatko-Fans jeden Sonntag in München auf der Großbildleinwand mitfiebern, „Mit Zlatko und Jürgen-Imitatoren!“. Ein Sonnenstudio aus Leonberg sandte solidarische Grüße: „Alle drücken Zlatti die Daumen, nur schade für Jürgen. Also bis dann.“ Ein Zladkoist beschimpfte die Feinde im „Big Brother“-Haus: „Kerstin ist für mich eine Hure. Sie versucht mit ihrer Geilheit die Zuschauer zu gewinnen (. . .) Bleib stark, Zladi! Ich hoffe, du gewinnst!“

Es gab allerdings auch kritische Stimmen: „Diese Seiten sind so scheiße, dass man kotzen muss! (. . .) Man merkt, dass ihr auf einen fahrenden Zug aufspringen wollt, um ordentlich Kohle zu machen.“ Oder: „Ihr seid doch alles Deppen, und so wird er auch über Euch denken, dieser Idiot. Raus mit ihm, aber hurtig, gelle.“

Mag er auch an Veronika Feldbusch erinnern, ein Idiot ist Zlatko sicher nicht, und in Makedonien ist er auch nicht geboren, wie so oft berichtet wird. „Ich hab meinen Namen von dort. Ich hab meine Mentalität von dort, und der Rest ist für mich Jacke wie Hose. Ich hab mir ja jetzt nicht umsonst einen deutschen Pass zugelegt. Ich lebe seit meiner Geburt hier. Auch wenn ich ‚die, wo da‘ sage.“

Der Medienhype führte zur Groteske. Zahlreiche Fans begannen den „Big Brother“-Container in Köln-Hürth zu belagern. Wenn man nachts im Internet nachschaute, was die Bewohner so machen, hörte man das Grölen einer betrunkenen Meute im Hintergrund: „Zladdi, Zladdi!“, riefen sie oder auch: „Manu raus!“ Und die Bewohner des Hauses kamen einem plötzlich sehr verloren vor, eingeschlossen von Holzwänden, Securityleuten und dahinter die Fans, die nicht nur Playboys und allerlei Geschenke, sondern auch mit Steinen gefüllte Tennisbälle aufs Gelände warfen.

Es wurde einem ganz seltsam, wenn man die durchs Internet verzerrten Stimmen der Bewohner hörte, die darüber sprachen, dass die Securityleute nicht mit ihnen sprechen dürften. Verloren-pathetisch klang die Stimme von Andrea: „Es ist richtig Kult jetzt.“

Am Freitagnachmittag kreiste ein lärmender Hubschrauber tief über dem „Big Brother“-Gelände und trieb die verängstigten Bewohner ins Haus. Das war eine Aktion der Zlatko-Anhänger, sagte RTL 2 und sendete dramatische Bilder, die an Vietnamfilme erinnerten. Verantwortlich für die Aktion, bei der eine silberne Jogginghose für Zlatko abgeworfen wurde, waren Mitarbeiter der Hürther Firma Creativ gewesen – unter ihnen Talkmaster Hans Meiser, war später in einem Internetbeitrag zu lesen. Die Bewohner baten die Fans, künftig von derlei Aktionen abzusehen. Scheinheilig schloss sich RTL 2-Moderator Percy Hoven an. „Fun ist ein Stahlbad“ (Adorno).

Sonntagabend, am Tag der Entscheidung, hatten sich über 5.000 johlende Fans mit Transparenten vor dem Haus versammelt. Ihre Begeisterung hatte durchaus etwas Aggressives. Sie schrien „Zladdi!“ und „Manu raus!“ und feierten ihren zunächst noch wegen seiner Abwahl enttäuschten Helden wie einen Boxweltmeister. Begleitet von Securityleuten, die sowohl an Neonazis als auch an Bladerunner denken ließen, schritt der winkende Zlatko durch die Menge.

Dies alles ist ziemlich befremdlich. Man nimmt Abschied von Zlatko, der einem irgendwann dann doch ans Herz gewachsen ist. „Wenn er in einem Jahr nicht fünf Millionen auf dem Konto hat, sind seine Berater unfähig“, sagt Harald Juhnkes Manager Peter Wolf. Vor ein paar Tagen hatte Zlatko gesagt: „Jeder Mensch wird vielleicht mal seine Chance bekommen, und dann muss er sie beim Schopfe packen. Vielleicht war das jetzt hier unsere Chance. Vielleicht. Keine Ahnung.“ Und: „Ich hab absolut nicht erwartet mit so was. Dass hier von wegen auch Fans da sind. (. . .) Was sich im Nachhinein ergeben hat, das ist ja positiv. Und was Positives im Nachhinein ist immer gut. Aber erwartet hätte ich das nicht und gewollt auch nicht. Eine Sache wär cool, finde ich: Ich möchte Werbung machen, und Fotos machen wär geil. Egal für was. Außer nackt. Und dann könnten sie sogar zu mir sagen, du musst noch mal zehn Kilo abspecken. Ich tät’s wirklich. Weil, ich mein, eigentlich, wenn wirkliche Profis am Werk sind, ich sogar superfotogen bin.“