Hier wird gemeltet

■ Vorschau 2: Im Kito überspringt die New Yorker Blaskapelle „Kamikaze Ground Crew“ mit Sanftmut die Grenze zwischen U- und E-Musik, Himalaya und Hendrix

Im Booklet ein langes Zitat von Walter Benjamin! Muss man mehr sagen über die neue CD der „Kamikaze Ground Crew“? Ja sicher. Zum Beispiel, dass Benjamin in jenem Zitat über den Vorgang des Übersetzens philosophiert: Das Gelingen einer Übersetzung entscheidet sich nicht in der Übertragung des Textkerns, sondern in dem seiner Ränder. Und: In der Übersetzung muss das Original wie ein Echo aus der Fremde nachhallen.

Logisch, dass es auch in der CD um Übersetzungsvorgänge geht. Sie heißt schlicht „Covers“ und widmet sich Vorlagen von Karlheinz Stockhausen, Erik Satie, Jimi Hendrix, diversen New Orleans Jazz-Traditionals und Brecht/Eisler. Wenn das Wörtchen „divergent“ jemals Sinn gab, dann hier. Noch viel wichtiger als dies postmoderne Allerlei ist für das Kamikaze-Musikkonzept die Idee des glücklichen Moments: Die Musiker haben die Vorlagen nämlich nicht mit akademischen Hintergedanken von irgendwelchen Tonträgern heruntergekratzt, sondern wurden davon überrollt, an einem ganz bestimmten Ort, in einer ganz bestimmten Sekunde.

Die Saxophonistin und Klarinettistin Gina Leishman zum Beispiel erzählt, dass ihr im bhutanischen Himalayagebirge aus dem Autoradio eine Melodei eines DJ-Heroen von lokaler Berühmtheit entgegenströmte, die sich hartnäckig in ihren Gehörgängen einnistete und nach Bearbeitung und Verwandlung gierte. Doug Wieslman, Saxopho-nist, Klarinettist, Gitarrist, Keyboarder, der bei John Luries Lounge Lizards mitmachte, kennt Satie natürlich schon ewig. Angesprungen von ihm wurde er aber bei einem Kinoabend über den Tänzer und Cagefreund Merce Cunningham. Und Jimi Hendrixs Electric Ladyland affizierte Kamikaze nicht in der Normalfassung, sondern als Stück für Sologitarre auf irgendeiner raren posthumen Platte. Kein Wunder, dass Kamikaze auf Benjamins Ding mit der Bedeutung der Ränder stehen. Der obskure Hendrix-Track „war eine Offenbarung. Seither bin ich besessen von diesem Sück.“ Wie Liebe auf den ersten Blick. Nur ohne Heirat und Kinder.

Das Original klingt in den Coverversionen tatsächlich nur als Benjaminsches Echo nach. Der Sound der Crew schiebt sich vor die benutzte U- ebenso wie vor die E-Musik. Sieben MusikerInnen sind zugange und umso erstaunlicher ist die Luftigkeit der Stücke. Marcus Rojas, er spielte noch im Duke Ellington Orchestra mit, jukst auf seiner Brumm-Brumm-Tuba schon mal ironisch, was aber die Klarinetten nicht vom Sehnsüchteln abhält. Überhaupt Heiterkeit und Innigkeit gehen bei diesen zerzausten Menschen um die 50 mit Schlabberklamotten und komischen Hüten bestens zusammen. Schlagzeuger Kenny Wollens, der für John Zorns „Mazada“ schon mal kräftig um sich haute, wechselt zwischen kleinen lakonischen, doch querständigen Einwürfen und dezentem Groove. Wie bei den meisten dieser experimentierfreudigen Jazzer aus dem vermeintlichen Melting Pot N.Y. darf auch hier neben Polyrhythmik, Dissonanz und Lärmballung auch wieder Wohlklang, Schunkelei, Ruhe und Besinnlichkeit auftauchen. Hier wird gemeltet, wenn es schon unter dem Rassisten Giuliani nicht möglich ist. bk

Freitag, 13. April, 20 Uhr im Kito