Der Schlüssel liegt beim Pförtner

Praxis, Baby: Die Autoren des Sammelbandes „ästhetisches dasein“ möchten die Avantgardekunst in den öffentlichen Raum holen

Gestus und Geist der bisherigen Avantgardekunst erscheinen heute lebensfeindlich. Es ist unübersehbar, dass die egomanischen Weisen ihrer Hervorbringung sich im Extremen, Exzessiven, Absurden, Provokanten und Paradoxen erschöpft haben oder aber in der Postmoderne nur zu extravagantem Dekor, bizzarem Nonsens oder narzisstischen Kuriositäten geführt haben.

Michael Lingner, Hubert Sowa und Pierangelo Maset haben ein Buch mit dem Titel „ästhetisches dasein“ herausgegeben, das den Bewegungsrichtungen eines neuen Kunstbegriffs nachzugehen versucht. Im Zentrum steht dabei der Raum k23, ein öffentlicher Projektraum in der Hamburger Hochschule für Bildende Künste. Das Buch gewährt Einblicke in „die Krise, Kritik und Transformation des Autonomiekonzepts moderner Kunst“ (Lingner), in „das praktische Situationsverständnis und die ästhetische Einstellung“ (Sowa) und in „die Topologie des Lehrens und Lernens“ (Behrens). Zusätzlich gibt es eine Reflexion über die Kunsthochschule als „Raum und Gegenstand künstlerischer Arbeit“ (Puffert) und im Anschluss daran einen Werkbericht von Pierangelo Maset zu seiner Arbeit „Der Schlüssel zum Raum k23 liegt beim Pförtner“.

Alle Texte sind als Kritik an den momentanen Zuständen zu verstehen, in denen Künstler heute arbeiten. Die Autoren legen – ausgehend von der Loslösung vom traditionellem Postulat der Werkautonomie – den Schwerpunkt auf Praxis, die an die Stelle eines Poiesis-Begriffs getreten sei. Und dies zu Recht. Unter den gegebenen Voraussetzungen – das 19.-Jahrhundert-Privileg der Professoren auf ein eigenes Atelier samt eigener Lehre, die herrschende Vorstellung von „autonomer“ Kunst angesichts ihrer kommerziellen und ideologischen Verwertung, der Verlust von Gemeinsinn, die Notwendigkeit einer Umgebung von Transparenz und Teilhabe – lassen sich Forderungen ableiten, die ein eigenständiges Konzept zu einer pragmatisch-performativen Kunst entwickeln.

Dabei muss man allerdings beachten, dass die programmatische Öffnung des avangardistischen Werkkonzepts hin zu Formen von Design, Gebrauchskunst und praktisch-performativen Lebensformen wiederum Probleme schafft – etwa mit Fragen zu herkömmlichen Präsentationszwecken, Rezeptions-, Kommunikations- und Handlungsformen. Aber auch in Bezug auf die Vorstellung von Raum als unmittelbarem Arbeits- und Lebensraum.

Die Perspektiven einer performativen und pragmatischen Kultur im öffentlichen Raum sind politischer Natur, auch wenn sich das im Buch nicht so konkret darstellt. Wie sich anhand der Texte zeigt, sind die Bedingungen und Alternativen der künstlerischen Praxis sehr genau beleuchtet worden. Die Entwicklung eines öffentlichen Arbeitsraums war eine Entscheidung für eine zeitgemäße Kunstpraxis.

Das Buch „ästhetisches dasein“ definiert ein Crossover, das sein Glück in der inhaltlichen Auseinandersetzung sucht und nicht in der Präsenz von zeitgeistigen Sensationen. Und dies sollte man sich erhalten, wenn man – wie es Maset ausführt – Kunst als die einzige Institution begreifen kann, in der man sich noch nichtinstrumentell über Fragen von Politik, Ethik und Gesellschaft auseinandersetzen kann.

ULRICH SCHÖTKER

Buchpräsentation: Heute Abend um 20.30 Uhr bei pro qm2, Alte Schönhauser Straße 48