Reformen gegen Lehrer führen zum GAU

In Berlin wollen heute tausende Lehrer gegen eine Stunde Mehrarbeit streiken. Die Pädagogen sind an sich die Schlüsselfiguren für eine neue Schule. Aber vor allem der Beamtenstatus erweist sich als Reformbremse

BERLIN taz ■ In Berlin streiken heute tausende Lehrer. Das Streikverbot für Beamte schert sie nicht. Was zählt, ist das Ziel: keine Stunde Mehrarbeit. Der Berliner Pädagogenprotest wirft ein deutliches Bild auf die Reformfähigkeit des Schulwesens. Wer Entscheidungen gegen den Willen deutscher Lehrer durchboxen will, riskiert den Super-GAU.

Das könnte auch erklären, warum Lehrer überhaupt noch auf Lebenszeit in den Staatsdienst übernommen werden. Zwar halten viele Bildungsexperten die Entbeamtung von Paukern für überfällig, aber sie ist ein bildungspolitisches Tabu. „Man scheut den Konflikt, von dem man kurzfristig nichts hat“, erklärt ein hoher Vertreter einer Landesschulbehörde. Namentlich genannt werden will er nicht. Dabei ist er überzeugt: Für die Verbeamtung von Lehrern gibt es heute „keine sachliche Notwendigkeit“ mehr. Im Gegenteil: Vom grundsätzlichen Kurswechsel versprechen sich alle „langfristig strukturelle Vorteile“.

Manfred Weiß, Professor am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt, findet deutlichere Worte: „Unkündbarkeit und fehlende Anreize haben mit dazu beigetragen, dass sich ein gewisses Phlegma im System breit gemacht hat.“ Im Schulalltag heißt das häufig: Reformblockade. „Es wäre bestimmt Einiges leichter, wenn man nicht mit einem verbeamteten Apparat zu arbeiten hätte“, glaubt Weiß.

„Dann hole ich mir die Stunde Mehrarbeit zurück“

Einer der Berliner Streiklehrer bestätigt Weiß’ Vermutung: „Selbst dem dämlichsten Bundesbürger dürfte klar sein, wie ein Lehrer reagiert, wenn er noch eine Stunde drauflegen soll: Er holt sich die Zeit wieder.“ Dienst nach Vorschrift gegen die Politik.

Juristisch läßt sich kaum noch begründen, warum Lehrer nach wie vor unkündbare Staatsdiener sein müssen. Ihr Beamtenstatus ist Tradition. Lehrer geben Noten, versetzen Schüler oder lassen sie sitzen. Deshalb wurde der Lehrberuf ursprünglich als „hoheitliche Tätigkeit“ eingestuft. Doch inzwischen gibt es Risse im System. Schon heute sind laut Gewerkschaf drei Viertel der Ost-Lehrer Angestellte. Auch sie geben Fünfen und lassen sitzen – ohne verbeamtet zu sein. Warum deutsche Schulbehörden Pädagogen dennoch weiter in den Staatsdienst übernehmen, ist ein offenes Geheimnis: Beamte kommen die Länder kurzfristig billiger als Angestellte. Der Abschied vom Beamtentum würde sich erst nach ein bis zwei Generationen rechnen. Verbeamtung ist eine „Liquiditätsstrategie“, sagt ein Reformbefürworter aus einer Landesschulverwaltung. Der Kurswechsel hingegen macht Schulpolitikern Stress.

In der Tat ist die Lehrerlobby enorm. Einer ihrer führenden Köpfe ist Heinz Durer, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands, der zum mächtigen Beamtenbund gehört. Durer warnt: „Wer die pädagogische Freiheit will, muss den Beamtenstatus sichern“. Gegen „fehlende Leistung“ einiger Kollegen empfiehlt Durer Reförmchen – zum Beispiel am Disziplinarrecht.

In den Schulbehörden weiß man allerdings aus Erfahrung, dass sich selbst Teilreformen nur schwer verwirklichen lassen. So wurde der Vorstoß des Bundesinnenministers, Schulleiterposten nur noch auf Zeit zu vergeben, in Berlin nie umgesetzt.

Weil ein Ausstieg aus der Verbeamtungspolitik in Deutschland derzeit nicht absehbar ist, setzt Bildungsforscher Manfred Weiß mittelfristig auf konsequente „Qualitätskontrolle“ und Förderung von Kollegialität, unabhängig von der beruflichen Statusfrage. Denn auch wenn der Professor den Beamtenstatus der Lehrer für „obsolet“ hält. An einen „Qualitätsschub“ allein durch den Abschied vom Beamtentum, glaubt er ebenso wenig.ASTRID GEISLER